Stiller
nicht feierlich! Denn in der Feierlichkeit werde ich unweigerlich feige, und wäre es nur aus stilistischen Gründen; man kann dann gewisse unfeierliche Dinge fast nicht mehr aussprechen. Ich müßte, wenn Frau Julika Stiller-Tschudy nicht mit einem blanken Nein antwortet, etwa folgendermaßen reden:
»Du bist nämlich meine einzige Hoffnung, Julika, und das ist das Schreckliche. Hör mich an! Wir brauchen gar nicht von Jean-Louis Dmitritsch zu sprechen, vielleicht liebt er dich viel mehr, als ich es je vermag, Dmitritsch ist ein sensibler Mensch, ich glaube es aufs Wort, ein treuer Halbrusse und etwas invalid. Du bist nämlich auch nicht weitergekommen, liebe Julika; du hältst dir immer wieder einen Invaliden. Und es ist ja auch gar nicht denkbar, daß wir weiterkommen, du nicht und ich nicht. Das ist nämlich die Wahl, die uns noch bleibt, glaube ich; entweder machen wir uns am andern kaputt oder es gelingt uns, einander zu lieben. Also leicht, offen gestanden, stelle ich es mir auch nicht vor. Von Jahr zu Jahr sogar schwerer. Nicht wahr? Aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Unter allen Umständen, meine ich, müßten wir davon ausgehen, daß wir uns beide noch nie geliebt haben. Und siehst du, darum können wir uns nicht einmal trennen. Das ist etwas sehr Komisches! Du hast dich von Jean-Louis getrennt, sagst du. Aus Treue zu deinem Gatten, sagst du. Lassen wir jetzt deinen Gatten verschollen sein! Aber: du hast dich von Monsieur Dmitritsch trennen können, siehst du, und warum können wir es nicht? Jedes Paar, das in seiner Weise einmal glücklich war und seine Möglichkeiten einmal verwirklicht hat, kann sich scheiden, es ist traurig, schmerzlich, skandalös, unverständlich und so weiter, aber keines von beiden nimmt Schaden an seiner Seele; sie hat die zwei süßen Kinderchen, einen weithin sichtbaren Lohn für ihre Unschuld, und er wird trotzdem Vizedirektor; wer weiß, wer von den beiden sich rascher wieder verheiratet. Und wir, Julika, was haben wir? Die Erinnerung an Foxli, ganz kurz gesagt. Ich weiß: das Hundchen kann persönlich nichts dafür, daß wir zusammen nie glücklich gewesen sind. Aber du verstehst schon, was ich meine! Wir sind nicht fertig geworden miteinander. Und darum, glaube ich, haben wir uns trotz allem nicht trennen können. Der arme Monsieur Dmitritsch! Er könnte alle ersinnbaren Qualitäten eines Mannes haben,vergeblich, er würde nie aufkommen gegen das Vakuum, das uns verbindet. Ich kenne das, Julika. Ich wurde geliebt, du weißt es, und es war einfach, diese Frau zu lieben, es war eine Freude. Aber es ging nicht! Es ging nicht, weil ich nicht fertig wurde mit dir, mit uns. Übrigens hat sie dieser Tage ein Kind bekommen, ich schrieb es dir, und ist neuerdings die Gattin meines einzigen Freundes. Das kommt jetzt noch dazu! Ich liebe sie noch! Und darum frage ich dich ja, ob du glaubst mich lieben zu können; es ist auch für dich alles andere als leicht, mich zu lieben. Zuweilen, offen gesprochen, kommt es mir vor wie ein Versuch, auf dem Wasser zu wandeln, und zugleich weiß ich, wissen wir beide, daß das Wasser steigt und steigt, um uns zu ertränken, und immerzu steigt, auch wenn wir es nicht versuchen, auf dem Wasser zu wandeln. Sehr viel Leben bleibt uns wohl nicht mehr. Alles, aber wirklich alles, was uns an Leben noch möglich ist, hängt davon ab, ob wir, du und ich, über alles Gewesene hinaus zu einer Begegnung kommen. Das tönt etwas verzagt, ich merke es; aber es ist das Gegenteil, ist Hoffnung, sogar Gewißheit, daß es für uns noch immer eine Schwelle gibt, um ins Leben zu kommen, du in deines und ich in meines, allerdings nur diese einzige Schwelle, und kein Teil kann sie allein überschreiten, siehst du, du nicht und ich nicht –«
So (ungefähr) werde ich zu Frau Julika Stiller-Tschudy sprechen, vorausgesetzt, daß sie – wenigstens sie allein! – mich nicht für den verschollenen Stiller hält, und den Rest mag mein Verteidiger zu seiner Selbstzufriedenheit erledigen, das kümmert mich dann nicht mehr.
Mein Verteidiger in Anbetracht der nahen Schlußverhandlung sehr kurz. Meldet: Sein Plädoyer für mich (falls ich mich wirklich nicht vorher noch zu einem Geständnis entschließen sollte) sei fix und fertig, bereits getippt. Ferner: Mein Verteidiger hat von Frau Julika Stiller-Tschudy auch eine Ansichtskarte bekommen (auch die Place de la Concorde?) mit Mitteilung, daß ›wir‹ sie morgen oder übermorgen erwarten dürften.
Meinerseits
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