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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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ich mich mit ihr treffen darf. Und ich befragte die Münze für eine Antwort auf ihre Frage. So planten wir unser weiteres Vorgehen.
    „Du befragst die Münze häufig, oder?“, fragte sie.
    Ich bejahte. Schließlich war sie mit dem Mysterium verbunden.
    „Und es macht die Dinge einfacher“, erwiderte ich, fühlte mich aber wie ein Trottel.
    „Na, dann los.“ Jetzt wollte sie es wissen.
    Wir stellten unsere erste Frage: Sollen wir noch weiter recherchieren? - Kopf - Sollen wir im Kino nach Antworten suchen? - Kopf - Sind wir auf dem richtigen Weg? - Zahl - Hat es mit dem Graffiti zu tun? - Zahl - Und hat es auch mit dem hageren Mann zu tun? - Zahl.
    „Ich wusste es“, sagte sie. Das Spiel der Antworten schien ihr zu gefallen. Wieder ein Moment, in dem ich mich fragte, warum sie mitmachte. Aber ich fühlte mich gut in ihrer Nähe. Ich vermute, der hagere Mann meiner Beobachtung und der Architekt auf dem Foto waren in ihrer Fantasie ein und derselbe. Sie flüchtet sich wohl genauso gerne in Parallelwelten, wie ich es tue, auch wenn ich nicht erahnen kann, welche Welten es sind. Der hagere Mann wurde zu einer Schlüsselfigur und es dauerte nicht lang, bis wir auf die Idee kamen, ihm zu folgen. Die Zahl bestätigte unser Vorhaben.
    Ach, wie schön wäre es gewesen. Sie und ich, wir hätten uns am Bahnhof verabredet, hätten auf den Mann gewartet und wären ihm dann gefolgt. Ich zusammen mit ihr, außerhalb des Kinos. Der Gedanke regte sich als nervöses Gefühl in meinem ganzen Körper. Elektrisiert betrachtete ich ihr Gesicht im blauen Nebel unserer Zigaretten, so nachdenklich, wunderschön und... nein, nicht schon wieder dieses Wort.
    Doch dann zerstörte sie meine Hoffnungen, weil ihr ein Gedanke kam. Kein unwichtiger oder unsinniger, wie ich hinzufügen möchte, aber er ließ mich rätseln, ob sie mir aus dem Weg gehen wollte.
    „Wir sollten noch herausfinden, ob du ihn allein beschatten musst. Vielleicht ist das sicherer. Dann fällt es nicht so auf, als wenn zwei Leute überall da sind, wo er ist.“
    Ich nickte und willigte ein, aber meine Enttäuschung ließ mich verkrampfen. Ich hoffte auf den Kopf, dieses dämliche Konterfei eines Amerikaners. Aber der Adler flog in die Höhe, weiter und weiter, bis er aus dem Bild verschwand. Wir wussten jetzt, dass ich allein Detektiv spielen würde.
    „Du musst mir alles gleich berichten“, sagte sie, „am besten rufst du mich abends an. Du weißt ja, wie lange ich immer Schicht habe.“
    Ich war erleichtert. Sie gab mir ihre Nummer auf einem kleinen Zettel. Ich mag gelächelt haben, als wir uns verabschiedeten, aber diese schnelle Folge von Hoffnung, Enttäuschung und Erlösung hatte mir Kraft geraubt. Ich selbst hatte mir Kraft geraubt, ich verliebter Trottel. Wie gerne würde ich sie jetzt anrufen. Mit ihr über den Stromausfall sprechen.
    Ich also inmitten einer Abenteuergeschichte, die sich am nächsten Tag als Thriller entpuppte. Irgend etwas kam mir daran so bekannt vor. War es die Jahreszahl? War es das Beschatten eines fremden Mannes? Oder war es der Vergleich von Mundsburg-Tower und World Trade Center? Etwas klopfte in mir als seltsame Gewissheit und das kannte ich bisher nur von den Geschichten, die der Tod mir diktierte.
    Und so kam ich dazu, in der Nacht, bevor ich den hageren Mann verfolgte, auf dem Notebook meine alten Notizen zu durchstöbern. Dieses Déjà-vu ließ mich nicht in Ruhe. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich keine Datei fand, die von den aktuellen Geschehnissen handelte. Aber ich stolperte über wenige Sätze, die mir meine Münze entfremdeten. Realität und Fiktion vermischten sich. Ich las die Sätze wieder und wieder, und bald lief Michaels Geschichte vor meinem geistigen Auge wie der Lebensfilm eines Sterbenden. Es hieß: ,Ein Mann findet im Kino zwei Münzen (oder erst eine, dann die zweite), die sein ganzes Leben ändern...'
     

VI
     
    Als Michael erwacht, ist es hell. Und er hat das Gefühl, gar nicht geschlafen zu haben. Als hätte er die Nacht über in der Küche gesessen und geraucht und getrunken, und als wäre noch jemand anwesend gewesen. Ein Jemand, mit dem er die Nacht durch machte, mit dem er redete und redete, oder vielmehr, der erzählte und erzählte, und Michaels Kopf füllte sich mit den Worten des Gastes zu Geschichten, zu Erlebnissen, zu Wahrheiten. Er fühlt sich so unendlich müde, dass er sich zu allem quälen muss an diesem Morgen. Auch nach einem Kaffee wird es nicht besser. Er schlief ohne zu

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