Stillmanns Münzen (German Edition)
ähnliches, kindliches Verlangen. Warum auch immer.
Als sie meine Befürchtungen teilte, war es um uns beide geschehen. Wir verabredeten, bis zum nächsten Tag, an dem wir wieder zusammen Schicht hatten, alles über das Jahr 1973 in Erfahrung zu bringen, wie es uns möglich war. Online versteht sich. Dann wollten wir unsere Ergebnisse vergleichen und ergänzen.
„Das ist interessant“, sagte sie zum Abschied. Sie drückte ihre Zigarette aus und verschwand aus meiner Nähe wie immer in ihre Distanz.
Am Abend glaubte ich schon, obwohl ich recherchierte, dass alles nur geträumt war. Das Gespräch mit ihr und das Graffiti. Aber am nächsten Tag stand es wieder am Geländer. Und derselbe hagere Mann mit demselben teilnahmslosen Gesicht wartete dort auf seine Bahn. Ob Zufall, Schicksal oder etwas völlig anderes, für das ich keinen Namen habe, seit dem Tag, als ich das Graffiti entdeckte, sah ich auch ihn dort stehen, exakt vor den Initialen New Yorks. Er mag dort gestanden haben, weil er wusste, wo er einzusteigen hatte, um an seinem Ziel gleich beim Ausgang zu sein. Ich aber fand ihn unheimlich, und so flocht ich seine Erscheinung in meine Abenteuergeschichte.
Ich berichtete von ihm, noch bevor wir unsere Ergebnisse vergleichen konnten. Welch warme Genugtuung, sie bestätigte ihr Interesse mit gedruckten Seiten und beeindruckte mich, indem es so aussah, als ob sie sich noch mehr für das Mysterium interessierte als ich es tat. Sie hatte meine Gedanken in sich aufgenommen und, was mich umso mehr verblüffte, zu ihren eigenen gemacht. Bisher hatte ich immer davon gehört, dass es möglich war, eigene Gedanken in andere Köpfe zu pflanzen. Es war mir nur in Romanen und Filmen begegnet, wenn ich mir diese Welten zu eigen machte. So wie ich hoffe, dass auch meine Geschichten eines Tages in den Köpfen anderer ihren Platz finden. Sie war nun so stark mit dem Thema verbunden, dass sie den hageren Mann kurzerhand in ihre Ergebnisse hinein arbeitete.
„Weißt du, die Verbindungen zwischen dem World Trade Center und unserem Kino sind enger als wir bisher annahmen. Hast du auch heraus gefunden, dass in demselben Jahr, 1973, unser Kino ebenfalls eingeweiht wurde? Unter UFA lief es damals noch (ja, das hatte ich soweit herausgefunden). Darum ist auch der Fahrstuhl aus demselben Jahr. Im Prinzip ist er immer noch derselbe von damals. Aber die Verbindungen gehen noch weiter. Beide Architekten, oder besser, beide Leiter der Architekten-Gruppen, die sich um das World Trade Center einerseits und das Mundsburg-Center andererseits kümmerten, waren befreundet. Sie trafen sich mehrmals im Jahr, nicht nur auf Kongressen, sondern auch privat. Das heißt, die beiden inspirierten sich vielleicht gegenseitig. Auf diesen Seiten findest du die ganze Geschichte, ausführlicher und so. Hier sind Bilder von den beiden. Als du mir vom hageren Mann erzählt hast, musste ich gleich an den hier denken.“
Sie reichte mir ihre Ausdrucke und tatsächlich, für einen kurzen Moment sahen sich die beiden sehr ähnlich. Doch dann war der Architekt der Mundsburg-Tower nicht gealtert und wir waren in eine klassische Geistergeschichte geraten. Auf einen zweiten Blick stellte ich ausreichend Unterschiede zwischen den beiden fest. Auch wenn der Mann vom Bahnhof zum Vergleich nicht anwesend war. Ich teilte ihr mit, dass ich nicht sicher war, dass sie sich unheimlicherweise aber ähnelten.
Wir waren uns beide sicher, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. Es war nicht notwendig, zu hinterfragen, ob wirklich etwas gelüftet werden konnte. Solange die Fakten zusammen keinen Sinn ergaben, bestätigte es mich, dass etwas ,los' war. Und anhand ihres Blickes, der klare, aufgeregte Glanz in ihren dunklen Augen, wusste ich, es ging ihr nicht anders.
„Was machen wir jetzt?“, fragte sie.
Ich verschwieg, dass das Jahr 1973 für New York noch eine andere Bedeutung hatte, was im Film ,American Graffiti' verarbeitet worden war. Auch aus diesem Jahr. Diese Information passte nicht zum Rest. Und entweder war sie selbst darauf gestoßen und verschwieg es aus derselben Abenteuerlaune, oder sie ahnte es gar nicht. Heute denke ich, dass wir beide diesen Thrill brauchten, um uns wieder am Leben zu spüren. Wir sind zwar wieder in unser unverbindliches Kollegen-Verhältnis zurück gekehrt, aber es gibt diese Momente zwischen uns, in denen wir uns anschauen und wissen... einfach etwas wissen, das die anderen nicht wissen.
Daher möchte ich die Münze unbedingt fragen, ob
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