Stirb, mein Prinz
Sie hatte ihnen dabei geholfen. Und man konnte nicht behaupten, dass die Wohnung vorher besonders sauber gewesen wäre.
In der Küche warf sie einen Blick in den Kühlschrank und fand ein paar Scheiben Bacon.
»Willst du ein Bacon-Sandwich?«
Ben saß erwartungsvoll am Tisch. Seine Augen begannen zu leuchten. »Au ja!«
»Dann mach mir eins mit.«
Ben runzelte verdutzt die Stirn, während Donna über ihren eigenen Witz lachte. »Setz Wasser auf. Weißt du, wie das geht?«
Er nickte, ging mit dem Wasserkocher zur Spüle, füllte ihn mit Wasser, ging zurück zum Tresen und schaltete ihn ein.
»Gut gemacht.«
Er lächelte. Das Lob freute ihn.
Donna stellte eine Pfanne aufs Gas und begann den Bacon zu braten.
»Im Kühlschrank ist Cola. Nimm dir eine.«
Das ließ Ben sich nicht zweimal sagen. Donna kümmerte sich derweil um den Bacon. Er war eigentlich kein übler Bursche. Sie hatte schon schlimmere Kinder getroffen. Sie selbst war auch schlimmer gewesen. Trotzdem war sie nicht für ihn verantwortlich, und das würde sie Faith auch klipp und klar sagen, sobald die sich bequemte, nach Hause zu kommen.
Sie servierte die Bacon-Sandwiches, nachdem sie Bens Weißbrotscheiben vorher mit Margarine und Ketchup bestrichen hatte. Er schlang seine Portion gierig hinunter. Donna zündete sich als Beilage zu ihrem Sandwich eine Zigarette an. Sie rieb sich die Augen.
»Musst du heute zur Schule?«, fragte sie den Jungen.
Er zuckte die Achseln und nickte. »Eigentlich schon.«
Was für ein Scheißmorgen. Donnas Kopf dröhnte. Das Sandwich und die Kippe hatten auch nicht geholfen, »Na, dann hast du heute ausnahmsweise mal frei.«
Ben strahlte.
Je eher Faith nach Hause kam, desto eher konnte sie sich wieder aufs Ohr legen. Nachdem sie ihr einen Einlauf verpasst hatte, versteht sich. Damit ihr klar war, dass sie Donna für diese Aktion was schuldete.
Sie schlürfte ihren Tee und sog den Rauch tief in die Lunge. Allmählich fühlte sie sich wieder wie ein Mensch.
Sie ahnte nicht, dass Faith nie mehr nach Hause kommen würde.
Sie ahnte auch nicht, dass vor ihrem Haus ein großer schwarzer Wagen stand. Und wartete.
9 »Also … nur dass ich es richtig verstehe. Er wurde in einem Käfig gefunden?«
DC Anni Hepburn nickte, den Blick starr aufs Bett gerichtet.
»In einem Käfig aus Knochen?«
Wieder nickte Anni.
Marina Esposito sah die Frau an, die diese Fragen gestellt hatte, und versuchte abzuschätzen, wie sie auf die Antworten reagieren würde. Ähnlich wie sie selbst, hoffte sie.
»Gott im Himmel …«
Eine Hoffnung, die sich erfüllte.
Der Junge lag vor ihnen im Bett. Er war unterernährt, bis aufs Skelett abgemagert, und um seine geschlossenen Augen herum lagen tiefe schwarze Schatten. Auf seiner Haut und in seinen Haaren saß der Schmutz von Wochen, vielleicht sogar Monaten. Seine ohnehin schon blasse Haut war an der Stelle, wo sein Arm gesäubert und ein Zugang für die künstliche Ernährung gelegt worden war, geradezu gespenstisch weiß. Seine gebrochenen Finger waren gerichtet und geschient worden. Er schlief, dank starker Beruhigungsmittel. Man hatte ihm ein Einzelzimmer gegeben und das Licht ganz heruntergedreht, damit er beim Aufwachen nicht geblendet würde. Die einzige Beleuchtung kam von den Monitoren und Apparaten.
Über Fragen der medizinischen Behandlung und des weiteren Vorgehens hinaus wusste Marina nicht, was sie zu dem Fall sagen sollte. Sie wollte auch keine Mutmaßungen anstellen. Also begann sie mit den Fakten.
»Dr. Ubha.«
Die Ärztin wandte sich von dem Kind ab und sah Marina an. Es war deutlich erkennbar, dass dies hier ihren Erfahrungshorizont bei weitem überstieg.
»Wie haben Sie den Jungen bislang behandelt?«
Dr. Ubha wirkte erleichtert, dass man ihr Fragen stellte, die sie beantworten konnte. »Als Erstes haben wir den Patienten stabilisiert. Ihn gemessen und gewogen. Seine Schnitt- und Schürfwunden versorgt. Die gebrochenen Finger geschient. Dann haben wir Proben genommen.«
»Proben?«
»Blut, Haare, Abschabungen unter den Fingernägeln.« Sie schluckte, und ihr Blick ging zurück zu dem Jungen im Bett. »Analabstriche. Die Ergebnisse müssten heute im Laufe des Tages oder spätestens morgen vorliegen.«
»Und wie ist Ihr erster Eindruck?«, wollte Anni wissen.
Dr. Ubha hob die Schultern. »Im Moment unmöglich zu sagen. Ich brauche auf jeden Fall ein komplettes Blutbild, erst dann kann ich sagen, ob irgendwelche Infektionen vorliegen, welche Mangelerscheinungen er
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