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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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hat … Außerdem braucht er einen Knochendichte-Scan – seine Hüfte, seine Gelenke …« Sie seufzte. »Seine Zähne sind in einem schrecklichen Zustand. Er muss starke Schmerzen haben.«
    »Angeblich hat er einen der Abrissarbeiter gebissen«, warf Anni ein.
    Dr. Ubha hob die Brauen. »Ein Wunder, dass ihm dabei nicht alle Zähne ausgefallen sind.«
    »Gibt es denn irgendwelche Erkenntnisse, die uns weiterhelfen könnten?«, wollte Anni wissen.
    Erneut schüttelte Dr. Ubha den Kopf. »Bis auf das Offensichtliche nicht viel. Er muss eine ganze Weile in dem Käfig zugebracht haben, oder an einem ähnlichen Ort. Es ist lange her, dass er zuletzt Tageslicht gesehen oder anständige Nahrung erhalten hat. Wir müssen warten, bis er aufwacht, um beurteilen zu können, wie hoch der Grad seiner Sozialisation ist. Ich vermute, nicht allzu hoch. Aber abgesehen von alldem ist da noch etwas. Etwas Merkwürdiges.«
    »Sie meinen, noch merkwürdiger?«, fragte Anni.
    »Ja. Gut. Ich verstehe, was Sie meinen.« Dr. Ubha zeigte auf die Stelle, wo sich unter der Decke die Füße des Jungen abzeichneten. »Da war etwas an einer seiner Fußsohlen. Zuerst dachten wir, es wäre eine Narbe, aber als ich es mir genauer angesehen habe, bekam ich den Eindruck, dass man es ihm absichtlich zugefügt hat.«
    »Man hat ihm absichtlich eine Verletzung zugefügt?«, fragte Marina.
    Dr. Ubha nickte. »Sieht ganz danach aus. Es ist eine Art … Brandzeichen.«
    »Ein Brandzeichen?«, wiederholte Anni. »Wie bei Vieh?«
    Dr. Ubha schwieg. Dann schüttelte sie den Kopf. »So was wie das hier habe ich noch nicht gesehen.«
    Marina betrachtete den Jungen im Bett. Unwillkürlich glitt ihre Hand über ihren Bauch, als sie an ihre Tochter dachte. Sie hatte sich immer geschworen, keine Kinder zu bekommen. Ihre eigene schlimme Kindheit und die schrecklichen Dinge, mit denen sie in ihrem Beruf tagtäglich konfrontiert wurde, hatten ihr eins ganz klar vor Augen geführt: Ein Kind in die Welt zu setzen – zumindest in die Welt, in der Marina lebte – war eines der dümmsten, selbstsüchtigsten Dinge, die ein Mensch überhaupt tun konnte. Und dann hatte sie festgestellt, dass sie schwanger war. Es war ungeplant gewesen, ungewollt. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, war ihr damaliger Lebensgefährte nicht einmal der Vater. Sondern Phil Brennan. Die ganze Situation war völlig verfahren gewesen. Aber nun, knapp zwei Jahre später, sah alles anders aus. Ihr Leben hatte sich zum Besseren gewendet. Sie war jetzt mit Phil zusammen. Ihre Tochter würde bald ein Jahr alt werden. Und es brauchte schon etwas wie den Anblick dieses Jungen im Krankenhausbett, um sie daran zu erinnern, dass ein Kind zu bekommen vielleicht nicht eins der dümmsten und egoistischsten Dinge war, die man tun konnte, aber mit Sicherheit eins der beängstigendsten.
    Die Dunkelheit im Krankenzimmer drückte ihr aufs Gemüt. »Wollen wir vielleicht rausgehen?«
    10 Nach der trübseligen Finsternis im Zimmer des Jungen wirkten die nach Desinfektionsmittel riechende Luft und das grelle Leuchtröhrenlicht im Flur geradezu anheimelnd. Marina beobachtete die anderen beiden Frauen dabei, wie sie unbewusst tief einatmeten. Ihnen geht es genauso wie mir , dachte sie.
    Sie war gleich nach Annis Anruf losgefahren. Sie hatte in den nächsten Stunden keine Sitzungen, und Annis Tonfall hatte ihr signalisiert, dass es nicht nur eilig, sondern auch wichtig war. Wichtiger, als noch eine Beurteilung darüber zu schreiben, ob eine Polizeibeamtin mit schlechten Manieren und einem akuten Fall von Selbstüberschätzung bereit war, ihren Dienst wieder anzutreten.
    Marina arbeitete gerne mit Anni. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie schwer es Frauen bei der Polizei hatten. Aber sich als schwarze Frau in einem Berufsfeld zu behaupten, in dem es so gut wie keine anderen schwarzen Frauen gab, erforderte eiserne Entschlossenheit. Davon hatte Anni reichlich, wenngleich sie klug genug war, dies nicht offen zu zeigen.
    Man sah ihr an, dass sie zu Phils Team gehörte. Die Jeansjacke, die Cargohose und die blondgefärbten Haare waren ein klares Indiz dafür, dass sie sich seine unorthodoxe Haltung und seinen kreativen Ansatz zu eigen gemacht hatte. Daraus hatte sie Selbstvertrauen geschöpft, war aber bescheiden geblieben. Was, so hatte Marina festgestellt, unter Polizisten eine selten anzutreffende Tugend war.
    Phils Team. Genau genommen gehörte sie wohl auch dazu. Vor allem da die Polizei ja nun ihr fester

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