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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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sich, dass ihn niemand betrog. »Für die Leute werde ich immer ein Ausländer bleiben«, sagte er. »Loyalität kann ich von denen nicht erwarten.« Matildes Mutter war die Umstellung besser gelungen. Sie gehörte mehreren Vereinen an, alle von Frauen geleitet, die Beschäftigung suchten, und engagierte sich dort, um der Einsamkeit zu entfliehen. Matty dagegen fand Frieden in den Stunden, die zwischen ihrer Ankunft zu Hause und der Rückkehr ihrer Eltern lagen. Sie war am liebsten allein.
    Sie stieg die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Auf dem Weg schüttelte sie den Blazer ab und öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse.
    Die Tür zu ihrem Zimmer war nur angelehnt. Sie wusste genau, dass sie sie am Morgen geschlossen hatte. Mattys Herz verkrampfte sich. Ihr Vater war also zu Hause.
    Er saß auf ihrem Bett, ein Walross von Mann, mit schwerer, schwammiger Kinnpartie und Augen, die wie zwei Käfer grünlich-schwarz glänzten. Auf dem Poster hinter ihm war Karen Carpenter zu sehen, Mattys Lieblingssängerin, auf den Lippen ein unsicheres, bedrücktes Lächeln.
    »Du bist spät dran. Wo warst du?«
    Sie konnte ihn hören, den drohenden Unterton, wusste, dass er da war und unter der Oberfläche lauerte. Karens Lächeln bekam einen hoffnungslosen Beigeschmack. »Ich bin langsam gegangen, Papa. Es tut mir leid.«
    »Lüg mich nicht an. Du warst wieder mit einem Jungen zusammen. Sieh nur mal deine Bluse an!« Automatisch hob sie die Hand und bedeckte ihren Ausschnitt. »Komm her.« Sie rührte sich nicht. »Ich habe gesagt, du sollst herkommen.«
    Gehorsam trat sie einen Schritt auf ihn zu und richtete ihren Blick auf Karens resigniertes Lächeln, denn die Augen ihres Vaters wollte sie nicht sehen. Wenn sie ihn anschaute, würden die Käfer wieder über ihre Haut kriechen. »Komm näher.« Sie konnte den Alkohol in seinem Atem riechen. Die nächsten Worte spie er ihr entgegen, ein Sprühregen, der auf ihrem Gesicht kribbelte. »Du bist eine dreckige Hure. Eine Schande für die ganze Familie.« Er wartete, bis sie weinte. Dann stemmte er sich hoch und verließ ihr Zimmer.
    Karen Carpenter versuchte, munter zu lächeln, doch ihr Blick war verhangen. Es ist meine Schuld, dachte Matty. Sie war zu hübsch. Als sie sich im Spiegel sah, verzog sie das Gesicht. Ihr Haar war viel zu hell. Die Menschen aus den Mittelmeerländern waren dunkelhaarig. Sie dagegen war blond und hatte grüne Augen, wenn auch ohne die schwarzen Sprenkel wie bei ihrem Vater. Es war ein helles Grün, wie frisch gewachsenes Moos, eine Farbe, die zu auffallend war. Sie glaubte, wenn sie nicht so hübsch wäre, würde es nicht geschehen. Aber wie machte man sich hässlich? Sie verstand nicht einmal, weshalb sie hübsch war, da in ihrem Inneren alles hässlich war.
    Die anderen Mädchen in der Schule gingen ihr aus dem Weg. Nur der Junge aus dem Metzgerladen zeigte Interesse an ihr. Und Mr   Ferris, der Lateinlehrer. Er sprach auf eine Weise mit ihr, die sie frösteln und zurückweichen ließ. Sie hatte Angst, dass er in sie hineinsah und die Wahrheit erkannte, nämlich, dass sie eine Hure war.
    Sie war siebzehn und somit noch keine Erwachsene, aber auch kein Kind mehr. Als ihre Periode ausblieb, wusste sie, was das bedeutete. Zwar gab es eine Pille, die Kinder verhütete, aber wie hätte sie an die herankommen sollen? Sie war zu jung und nicht verheiratet. Wie konnte sie einem Arzt ihre Sünde gestehen? Stattdessen versuchte Matilde – oder Matty, wie sie genannt werden wollte, zumindest in ihrer Phantasie, in der sie Freunde hatte, die sie verstanden – zu tun, als wäre nichts geschehen. Es würde ja auch nicht mehr geschehen. Sie gab sich Mühe, ihren Zustand zu ignorieren, und konzentrierte sich auf ihre Bücher. Auf alle möglichen Bücher, vor allem aber auf solche, in denen es um menschliches Verhalten ging.
    In der Schule kam sie gut voran. Das sagte sogar ihre Mutter. Im Vorjahr hatte sie die Mittlere Reife mit den besten Noten abgeschlossen. Sie war in St.   Albans geblieben, zusammen mit den anderen Mädchen, die Strohhüte trugen und unentwegt über Jungen redeten. Aber Matty wollte nur lesen. Und lernen. Sie bereitete sich auf ihr Abitur vor. Latein war eins ihrer Hauptfächer, darauf hatte ihr Vater bestanden. Es sei Teil ihres Erbes, sagte er, und im Übrigen war sie gut darin. Mr   Ferris vermutete, dass es ihr wegen ihres italienischen Vaters leicht fiel, eine romanische Sprache zu lernen, aber er irrte sich. Ihr Vater benutzte seine

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