Stirb mit mir: Roman (German Edition)
roten Druckstellen an seiner Nase rieb, die seine Brille hinterlassen hatte. Einen Mann mit undefinierbarer Haarfarbe, der Nylonhemden trug. Merkwürdig, dass ich ausgerechnet das Gewöhnliche suchte, da ich alles andere als das war. Sobald ich mich mit einem Mann traf, begehrte er mich, zumindest anfänglich, doch mein eigener Geschmack war eher bescheiden.
Robin wollte Sicherheit. Das Vorhersehbare war ihr wichtiger als Spaß. Die Annoncen von Männern, die selbstgefällig auf ihren großen Sinn für Humor hinwiesen, löschte ich sofort. Ich lache gern, aber nicht auf Kommando. Mir stand der Sinn nicht nach Kabarettisten.
Seine Anzeige war eher schlicht. Als Teenager hatte Smith für Morrissey geschwärmt, und ich stellte mir einen melancholischen Jungen mit langem Haar vor, der Gras raucht. Er sagte, er sei Katholik und das liege ihm noch im Blut, auch wenn er inzwischen vom Glauben abgefallen sei. Ich vermute, jene zarte Verbindung zur Religion meiner Mutter zog mich ebenfalls an.
Ja, außer mir antworteten auch andere auf seine Anzeige. Männer wie Frauen. Aber er entschied sich für mich.
Ich war auf die Jagd gegangen und hatte mich vor Smith auch mit anderen Männern getroffen. Die Liebe zu finden ist ja nie einfach. Für mich sollte es eine Bindung fürs Leben werden, und so etwas kann man nicht forcieren. Außerdem war ich noch nicht gänzlich bereit. Wäre Smith zu einem früheren Zeitpunkt auf mich zugekommen, hätte ich ihn wie Sand durch die Finger rinnen lassen.
Ich antwortete nicht sofort auf seine Annonce, sah mich zuerst noch ein bisschen um, besuchte einige Chatrooms und surfte im Web. Das alles, ohne einen Ton von mir zu geben, ein echtes Mauerblümchen. Am Computerbildschirm ist so etwas nicht weiter schwer. Dein Eintritt wird erst dann registriert, wenn jemand schreibt:
»Hallo, Robin! Wie ich sehe, bist du gerade zu uns gestoßen. Herzlich willkommen.«
Wenn du dann lange genug schweigst, kümmert sich keiner mehr um dich. Nach ein, zwei belanglosen Zeilen ist deine Ankunft Geschichte, und die Menschen vergessen dich wieder. Mit der Zeit lernte ich, wie Beziehungen durch Wörter hergestellt werden können. Ich ließ mir Zeit und wartete auf den richtigen Augenblick, stöberte auf Facebook und Twitter, suchte nach speziellen Sites, schlüpfte in Chatrooms hinein und wieder hinaus. Ich wusste nicht einmal, worauf ich wartete, bis ich seine Anzeige entdeckte:
»Mann sucht schöne Frau für die Reise eines Lebens: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Wirst du mir helfen zu sterben?«
Ich las die Zeilen ein ums andere Mal, ließ sie auf meinem Bildschirm stehen, ehe ich mich schließlich ausloggte. Vor meiner Antwort brauchte ich Zeit zum Nachdenken.
Aber ich bin schon wieder zu schnell. Das war von jeher mein Fehler, den Gipfel anzustreben, ohne vorher die Strecke festzulegen. Dagegen muss ich unbedingt angehen. Es ist wichtig, alles von Anfang an zu erzählen. Beginnt nicht jede Geschichte eines Menschen mit seiner Mutter?
Der Name meiner Mutter war Matilde Mariani. Das hier ist auch ihre Geschichte.
Zwei
1977 Matilde trottete nach Hause, scheuerte die Spitzen ihrer Lackschuhe an den Pflastersteinen auf und schleifte ihre Schultasche hinter sich her. Sie schlug ihr gegen die Beine und hinterließ auf den weißen Kniestrümpfen staubige Flecken. Es war ein drückend warmer Tag. Der Blazer spannte über ihrer Brust. Sie knöpfte ihn auf und nahm ihren Strohhut ab. Wenn sie zu Hause ankam, würde niemand da sein. Sie konnte allein und glücklich sein. Aber zuvor musste sie es an den Geschäften vorbei schaffen. Der Junge, der das Fleisch auslieferte, lungerte vor dem Metzgerladen herum, sein Fahrrad lag auf dem Bürgersteig. Im Schaufenster hingen Tierhälften. Sie achtete darauf, stur geradeaus zu blicken, und wartete auf seine Sticheleien.
»He, warum redest du nicht mit mir? Du eingebildete Ziege! Du hochnäsiger Itaker! Bin dir wohl nicht gut genug.«
Sie ließ es über sich ergehen, sagte sich, dass sie es gewöhnt war und es sowieso nur Wörter waren. Sie lief weiter und hielt die Luft an, um den metallischen Geruch des Schweinebluts nicht einatmen zu müssen. Als sie wenig später das Haus betrat, fühlte es sich leer an. Ihr Vater arbeitete meist bis spätabends. Mittlerweile gehörten ihm drei Fabriken, aber da er den Geschäftsführern nicht traute, hielt er sich ständig vor Ort auf, prüfte die Stoffe und Bestellungen, vergewisserte
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