Stirb
Küche vernahm, beschlich Lara die leise Ahnung, dass die Zerstörung erst der Anfang sein sollte. Sie hob ein abgebrochenes Stuhlbein vom Boden auf, hielt es wie einen Baseballschläger schlagbereit in der Hand und bewegte sich langsam auf die Küche zu. Sie stieß vorsichtig die Tür auf und sah sich um.
Doch da war niemand.
Nur ein weiteres Trümmerfeld: Teller, Tassen, Gläser, Sektflaschen – die Scherben waren über den ganzen Boden verteilt. Es war eine Riesensauerei. Nur die Espressomaschine, das Herzstück ihres Cafés, stand noch immer verpackt neben der Spüle.
Lara atmete auf. Plötzlich entdeckte sie hinter dem Karton eine Maske. Eine Clownsmaske …
Beunruhigt schaute sie sich weiter um, entschied, dass es besser war, nichts anzufassen und die Polizei zu rufen. Sie hatte sich eine Prepaidkarte und ein neues Handy zugelegt und wollte gerade die Nummer der Polizei eintippen, als sie hinter sich plötzlich Schritte hörte.
Blitzschnell wandte Lara sich um.
»Scheiße, Mann – was’n hier los?!« Die Stimme gehörte Katrin Ludwig, der Kaugummi kauenden, mit Piercings und Indianerschmuck behängten jungen Frau, die sie eingestellt hatte und die soeben den Raum betrat. »Ham Se schon die Bullen gerufen?«
Lara schüttelte den Kopf und sammelte die Scherben auf. »Nein.«
Neugierig sah die Studentin sich um, ließ den Kaugummi schnalzen und stemmte die Hände in die Hüften.
»So, wie dit hier aussieht, wird hier vorerst ja wohl keen Kaffee serviert.« Die Hände in den Hosentaschen vergraben, sah sie sich weiter um, als sie plötzlich etwas entdeckte. »Heilige Scheiße! Keene Ahnung, wat hier abläuft – und ick will’s auch gar nich wissen!« Und mit den Worten »Wissen Se wat, behalten Sie Ihre Kohle, ick hau ab!« ergriff sie schlagartig die Flucht. Lara sah ihr nach. Dann schoss ihr Blick in Richtung des Garderobenständers, den Katrin beiseitegeschoben hatte.
Dahinter stand in blutroter Schrift jene unmissverständliche Drohung an die Wand gesprüht, die Lara jeglichen Boden unter den Füßen wegriss:
Ich krieg dich, Nutte!
Lara tastete nach dem Garderobenständer, um sich an irgendetwas festzuhalten und nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Großer Gott, diese Polizisten hatten recht, er wird so lange hinter mir her sein, bis … bis … Lara wagte gar nicht erst daran zu denken.
Benommen stellte sie einen Stuhl auf und sank darauf nieder. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, obwohl sie mit jeder Faser ihres Körpers dagegen ankämpfte.
Das Geschmiere an der Wand – für einen kurzen Moment verschwammen die Buchstaben ineinander, und ihr war, als ob nicht sie es sei, die da in den Trümmern dieses Cafés stand. Und deren Leben gerade systematisch zerstört wurde.
***
Vierundzwanzig Stunden später.
Am frühen Morgen des 7. Juni …
Der Anruf riss Sylvia Hausmann unsanft aus dem Tiefschlaf.
»Na endlich«, drang die Stimme von Magnus Kern etwas zu laut aus dem Hörer. »Ich dachte schon, du würdest nie drangehen … Hör zu, der Russbach hat schon nach dir gefragt, der ist stinksauer.«
Sylvia Hausmann schaltete das Licht an und nahm ihre Armbanduhr vom Nachttisch. Kurz nach halb fünf.
»Was … was ist passiert?« Sie rieb sich müde die Augen und setzte sich im Bett auf.
»Es gab einen weiteren Mord. Der Trancheur – sieht ganz so aus, als hätte er wieder zugeschlagen.«
Schlagartig war sie hellwach.
»Wo?«, fragte sie.
»Hellersdorf. Ein Straßenfeger hat sie auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums gefunden.«
Hausmann ließ sich die Adresse geben und stand keine drei Minuten später vollständig angezogen im Badezimmer. Sie schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fragte sich, was Gregor Russbach, den Leiter der Mordkommission, dazu veranlasst haben könnte, persönlich am Tatort aufzukreuzen. Dann verließ sie überhastet die Wohnung. Sie war schon an der Treppe, da fiel es ihr plötzlich ein. Scheiße. Im Hausflur machte sie kehrt, schloss noch einmal auf und eilte in die Küche, in der sie die beiden schwarzen Katzen ungeduldig maunzend erwarteten. Hausmann beugte sich hinunter und streichelte sie kurz, während die Katzen sich schnurrend um ihre Beine schlängelten.
»Da hätte ich euch fast vergessen …« Und das ausgerechnet an Fabiennes achtem Todestag. Sie nahm die angebrochenen Whiskas -Dosen aus dem Schrank und kratzte die Fleischstücke mit einem Löffel in die Näpfe. Obwohl sie spät dran war, sah sie einen Augenblick lang zu,
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