Stoerfall in Reaktor 1
blickt auf seine Uhr. Es sind schon über fünf Minuten vergangen, seit sie im Gebäude sind. »Kannst du mit irgendeiner Zahl was anfangen?«
»Es sind zu viele«, sagt Hannah, »das schaffen wir nicht. Aber das gilt auch für ihn! Er muss irgendwo die Kombinationen notiert haben!«
Sie zieht wahllos die erstbeste Schublade auf. Büroklammern, Stifte, Zettel mit handgeschriebenen Notizen, eine aufgerissene Packung Fishermanâs Friend, ein Manual für den Computer.
Die nächste Schublade ist abgeschlossen.
»Oder er hat es im Computer abgespeichert«, überlegt Hannah. Sie probiert verschiedene Ziffernfolgen.
»Versuch es mit Winnetou«, schlägt Lukas vor.
»Nichts.«
»Karl May.«
Hannah schüttelt den Kopf.
»Saarbrücken!«
»Das macht keinen Sinn«, sagt Hannah. »Hör endlich auf, mir in den Nacken zu pusten, ich muss mich konzentrieren!«
Lukas schaut wieder auf seine Uhr. Dann tritt er einen Schritt von Hannah weg und sieht sich im Büro um. In der Sitzecke mit der Zimmerpalme hat er damals das merkwürdige Gespräch mit Hannahs Vater geführt. Zwischen dem Couchtisch und dem Ledersessel lehnt eine bunt gestreifte Einkaufstasche, aber das ist auch das Einzige im Raum, das irgendwie persönlich wäre. Es gibt noch nicht mal das übliche Familienfoto in dem Regal mit den technischen Fachbüchern. An der Wand hängt ein Lageplan des Kraftwerks, Lukas liest die einzelnen Beschriftungen: Reaktorgebäude, Kühltürme, Maschinenhaus, Schaltanlage, Notstromaggregate, Transformatoren, Lager für radioaktive Abfälle. Vor dem Fenster ragt die Reaktorkuppel auf, in dieser direkten Nähe wirkt die matt glänzende AuÃenhaut so bedrohlich, dass Lukas unwillkürlich schlucken muss. Ganz kurz hat er das Bild vor Augen, wie das Flugzeug damals genau ins World Trade Center geflogen ist. Er bemüht sich, den Gedanken zu verdrängen, dass es statt der Twin Towers auch ebenso gut die Reaktorkuppel irgendeines AKW s sein könnte.
Dann sieht er das Faxgerät auf dem Tisch vor dem Heizkörper. Ohne auf etwas Bestimmtes zu hoffen bückt er sich zu dem Papierkorb und zieht ein einzelnes Blatt heraus, das an der oberen Kante eingerissen und schwarzgrau verschmiert ist. Eindeutig ein Fehleinzug aus dem Faxgerät, aber als er genau hinsieht, kann er ein paar Buchstaben in dem grauen Feld ausmachen â der verwischte Schriftzug einer Firma, ein Datum, eine Kundennummer â und das Wort »Kostenvoranschlag«. Der Rest des Blatts ist weiÃ.
»Verdammt, ich komme nicht weiter!«, flucht Hannah am PC vor sich hin. »Was ist das denn hier? Es muss doch irgendein System geben, nach dem man das zuordnen kann â¦Â«
»Ich glaube, ich hab hier was«, unterbricht Lukas sie. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnet er das Faxgerät, zieht die Kopierfolie heraus und hält sie gegen das Licht. Gleich der letzte Abdruck auf der Folie ist das Fax, das er sucht: »Kostenvoranschlag. Reparaturarbeiten an korrosionsbedingt defekten Kühlleitungen«.
»Was ist das?«, fragt Hannah.
»Dein Vater hat hier genau die Kostenvoranschläge gefaxt gekriegt, die du neulich auch gefunden hast«, sagt Lukas irritiert, während er die Folie weiter abwickelt. »Alles, was bei meinem Vater abgespeichert war!«
»Kapier ich nicht. Wieso? Das macht doch nun gar keinen Sinn mehr, so was schickt man als Anlage, aber doch nicht als Fax!«
»Es sei denn, irgendjemand wollte vermeiden, dass das übers interne Computernetz geht«, stöÃt Lukas atemlos hervor. »Wenn sie hier echt in Panik sind, dann haben sie auch inzwischen jede Netzverbindung überprüft, wetten? Aber kein Mensch kommt heute mehr auf die Idee, ein Fax zu benutzen, genau wie du sagst. Deshalb ist das absolut sicher, da sucht keiner!«
»Moment mal, wenn dein Vater meinem Vater irgendwas ⦠warum hat er dann das Ganze nicht einfach kopiert und ihm rübergebracht?«
»Was weià ich? Vielleicht hatte er Angst, dass irgendeine Sekretärin dazukommt. Oder es sollte schneller gehen â¦Â«
»Das ist Quatsch, Lukas!«
»Aber das hier ist kein Quatsch!« Lukas hält die Folie aus dem Faxgerät hoch.
Als es an der Tür klopft, zucken sie zusammen. Hannah hält sich den Zeigefinger vor die Lippen und geht mit der anderen Hand geistesgegenwärtig auf »exit«. Der
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