Störgröße M
Absicht zweifeln. Sie waren ernster gemeint als eine Floskel, und so erwiderte er sie absichtlich mit einer. »Auf die neue schöne Welt!«
Wieder ergriff der Koordinator seinen Arm. Unmerklich fast gab er die Richtung an. In einer unbelebten Ecke, von der aus sie den gesamten Saal überblicken konnten, sagte er, indem er anscheinend interessiert den Raum durchmusterte: »Es ist mehr, mein Lieber, weit mehr. Haben Sie jemals daran gedacht, daß Sie in die Geschichte eingehen werden?«
»Nun ja«, erwiderte Cerpendeel und bemühte sich nicht, Bescheidenheit vorzutäuschen, »die wissenschaftlichen Annalen werden meinen Namen vermerken.«
»Die wissenschaftlichen Annalen«, wiederholte der Koordinator, und ein kühles Licht glänzte in seinen Augen. »Die Menschheit wird sich unser noch in Jahrtausenden erinnern. Unser Name wird auf ewig verbunden sein mit dem Auszug ins Gelobte Land. Verstehen Sie, Mose und Aaron!«
Ich habe nichts dagegen, dachte Cerpendeel, wenn er für sich den Namen Moses beansprucht. Er soll ihn haben und sich in Gottes Namen einen Hohepriester suchen. Ich bin kein Aaron.
»Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten nie daran gedacht.« Das Gesicht des Koordinators verjüngte jenes feine, hintergründige Lächeln, welches der Welt bekannt war. »Auf einer bestimmten Stufe des Denkens – der Macht – beginnt ein jeder damit zu spielen.«
»Macht«, sagte Cerpendeel. »Ich habe sowenig Macht wie Einstein, wie Kapiza, wie Planck.«
Nun lächelte der zierliche Mann wirklich, wirklicher als seine und die Bilder der Mona Lisa. »Sieh an, ein Einstein! Sie übertreffen Ihren großen Kollegen in vielfacher Hinsicht. Auch in der, daß Sie nötiger gebraucht werden. Heute drängt die Zeit, Neunzehnhundertfünfzehn interessierte es niemanden, ob Einstein die allgemeine Relativitätstheorie ein oder drei Jahre später entdeckt hätte. Aber heute«, sein Lächeln beruhigte Cerpendeel, »Sie sind unersetzbar.«
»Vielleicht«, erwiderte Cerpendeel, »vielleicht bin ich es wirklich.«
»Die Anwendung des C-Effekts auf Hyperfeldstabilisatoren«, sagte der Koordinator. »Ohne sie sind die neuen Raumschiffe undenkbar.«
»Natürlich«, sagte Cerpendeel. »Ich denke, in einem halben Jahr werde ich…«
»Fordern Sie, was Sie wollen. Mitarbeiter, materielle Unterstützung. Wir brauchen Erfolge. Seit Generationen bereiten wir die Menschen auf ihren Weg vor. Die Leute werden müde. Sie müssen schneller fertig werden. Was für ein historischer Augenblick! Unter unserer Führung wird die Menschheit ihr Ziel erreichen: Ihr Glaube, ihre Hoffnungen dürfen nicht erlahmen, nicht erlahmen darf ihre Verehrung. Glauben Sie mir, nie seit Mose und Aaron hatten zwei Menschen so wenig Gegner. Wir müssen das Eisen schmieden.«
Cerpendeel schüttelte den Kopf. »Sechs Monate.«
»Die Kampagne ist auf vollen Touren«, sagte der Koordinator. »Wir haben Sie aufgebaut. Sie sind der Mann ohne Furcht und Tadel, der Silberstreif am Horizont. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, in Zukunft mit Superlativen bedacht zu werden. Kennen Sie die Wirkung von Vorbildern, von Idolen? Wir brauchen die Einheit der gesamten Menschheit. Wenn jetzt jemand aus der Reihe tanzt, haben wir nie wieder eine Chance. Glaube eint, Idole einen. Götter!«
Diese Worte brachen über Cerpendeel herein, eine Flut, die ihm den Atem nahm. Er wollte nichts anderes sein, als er war. Er wollte geben, was er konnte. Nicht mehr. Was wurde da von ihm verlangt? Wozu ein Gott? Reichte nicht der Glaube an die Zukunft, irgendein Glaube an irgendeine gute Zukunft? Er dachte an Undine, und vor der Forderung, ein Gott zu sein, kam ihm ihr Traum von der Erde so absurd nicht mehr vor.
»Die Menschheit steht geschlossen hinter uns«, sagte der Koordinator.
»Ich kenne einen, der tut es nicht«, erwiderte Cerpendeel.
Der mächtige Mann lächelte. »Hüten Sie ihn gut. Spätestens in der neuen Heimat wird er auf unserer Seite sein. Der Erfolg gab dem Sieger noch immer recht. Je schneller Sie arbeiten, desto eher. In einem Jahr sind wir auf dem Weg. Es war ein langer Weg. Wir wollen ihn endlich zu Ende bringen.«
»Nein«, sagte Cerpendeel aus einem ununterdrückbaren Impuls heraus. »Nein!«
»Ich verstehe nicht.« Der Ton der Frage ließ alle Möglichkeiten offen.
Vielleicht hätte sich Cerpendeel besonnen. Vielleicht hätte er es nicht durchgehalten, anderer Meinung zu sein, als ein Leben lang. Vielleicht hätte er es nicht gewagt, seine Macht wirklich zu gebrauchen. Doch die Geduld
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