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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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des Koordinators war eher zu Ende als Cerpendeels flüchtiger Mut.
»Ich verlange Disziplin. Ich erwarte, daß Sie Ihr Bestes geben. Wie bisher! Sie sind ausgezeichnet worden. Erweisen Sie sich würdig.«
»Nein«, sagte Cerpendeel, null schon mit Bewußtsein. »Wir werden die Erde nicht verlassen, weder in einem Jähr noch sonstwann. Vielmehr werden wir den Effekt dazu benutzen, die Erde wieder bewohnbar zu machen. Die Erde!«
Der zierliche Mann brach in ein Gelächter aus, das man ihm niemals zugetraut hätte. Er stieß es leise und diskant hervor, viel weniger weise als sein Lächeln.
Noch hätte sich Cerpendeel mit einem Witz aus der Affäre ziehen können. Aber gewohnt, sein Zeitmaß zu gebrauchen, äußerte der Koordinator vor ihm: »Wir treffen unsere Entscheidungen zum Besten der Menschheit. Wir sind durchaus 1 geübt darin. Das sollten Sie begreifen. Unser Apparat, das Centro-Neucyron sagen uns, was das beste ist. Sie, lieber Doktor, mögen etwas von Naturgesetzen verstehen, diese Entscheidungen jedoch überfordern Ihre Kompetenz.«
Mit einemmal empfand Cerpendeel die ungeheuerlichen Widersprüche der vergangenen Stunde. Ein unbestimmtes Etwas von Erinnerung und Gewöhnung verwirrte sein Denken. Hinter ihm lag ein Leben in schöpferischer Disziplin. Das erste Mal in seinem Leben, so schien es ihm, ließ er sich in ein Abenteuer ein, welches ins Nichts führte. Nicht das erste Mal! Er atmete erleichtert auf. Wie war das damals gewesen, als ihn die Notwendigkeit seiner großen Idee packte? Nichts außerhalb seiner selbst hatte ihn eine Vorstellung vom Wohl der Menschheit haben lassen. Die Notwendigkeit war allgemein gewesen. Jetzt wurde sie konkret. War seine Macht nur scheinbar?
Konnte er sich wirklich gegen eine ganze Welt stellen? Welche Disziplin sollte er befolgen? Die Disziplin welchen Aufbruchs? Er begriff die selbstgewählte Forderung, einen eigenen Maßstab zu befolgen. Wie damals sah er sich allein, ohne Undine. Ohne Genialität! Er lächelte. Was für ein Gedanke war diesmal sein Gefährte? War es nicht lediglich ein kindischer Wille, der da an seiner Seite hinkte? Er sah sich umringt von einem eineinhalbmilliardenköpfigen Gespenst. Drei Milliarden Hände fügten seinem Körper Schmerzen zu, und nur ein Paar Labsal.
    Er stöhnte, eigentlich jedoch empfand nicht er selbst die Qual, sondern etwas außerhalb von ihm, eine Chimäre. Sein Astralleib. Was für ein Unfug. Nichts Übersinnliches trennte sie, nur Zeit. Die Qual gehörte einem vergangenen Körper, einem vergangenen Leben. Was aber lag dazwischen?
    »Nun ja, der Schock«, sagte jemand. »Durchaus begründet, aber normal.«
»Geben wir Q2?« fragte eine zweite Stimme.
»Ich denke, es wird nicht nötig sein«, sagte eine Frau. »Seine Werte sind gut. Batoo?«
»Lassen wir es ihn allein schaffen«, erwiderte die erste Stimme. »Er schafft es.«
In seiner Erinnerung existierte eine Explosion.
Die Frau sagte: »Er ist wach. Alpharhythmus nicht mehr dominant. Öffnen Sie die Augen, Doktor Cerpendeel!«
Welch ein Strom floß die Erinnerung bedrohlich in ihm und verästelte sich zum Delta, kurz bevor sie sein Bewußtsein erreichte. Inmitten des Stroms lagen Inseln der Angst.
Wer außer ihm war umgekommen?
War nach seinem Tode sein Wille fortgeführt worden?
Was war mit Undine? War sie zurückgekehrt?
Seine vierte Angst gipfelte in der Frage: Woher weiß ich, daß ich tot war?
Er öffnete die Augen nicht.
»Wenn Sie uns hören, öffnen Sie die Augen!«
»Sie hören uns«, suggerierte ihm Batoos Stimme. »Sie sind in ausgezeichneter Verfassung. Sie könnten aufspringen und Tennis spielen gehen.«
Ein blendender Keil schob sich zwischen seine Lider. Empört wollte er aufbegehren. Rechtzeitig wurde ihm klar, daß es sein Wille war.
Über ihn beugten sich zwei Männer und eine Frau. Wer waren diese Leute? Was wollten sie von ihm? Einer von ihnen mußte Batoo sein. Er sah in ein dunkles Gesicht.
Neben seinem Bett türmten sich Geräte. Im Widerschein von Meßschirmen und Skalen blinkte Chrom. Vom Fenster her sickerte abgeblendetes Licht und schuf, etwa ab der Mitte des Raumes, Dämmerung. Sie empfand er wohltuend nach dem grellen Blitz der Explosion.
»Ich war tot?« hörte er seine Stimme fragen.
»Machen Sie sich darum keine Sorgen«, sagte einer der Ärzte zu ihm. Das mußte Batoo sein. »Sie leben ja wieder. Es ist alles in Ordnung. Sie sind völlig wiederhergestellt.«
»Wer sind Sie?«
Der große, dunkle Mann lächelte. »Wir bitten um Verzeihung.«

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