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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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denn
Choyteler schien sich nach wie vor nicht um sie zu kümmern.
Drinnen legten sie die Schutzanzüge nicht ab. Lediglich die
Visiere geöffnet, betraten sie einen durch Notleuchten spärlich
erhellten Korridor, der in einen breiteren, aber ebenso düsteren
Gang, die Hauptachse des Schiffes, mündete. Die Düsternis
schuf eine beklemmende Geräumigkeit, in der die
Helmscheinwerfer Verstrebungen und deren skeletthafte
Löchrigkeit enthüllten. Trübe Augen starrten sie an, Höhlen, in
denen sich nichts befand. Ein Gemisch von Muffigkeit und
schneidender Kälte drang in die Helme und ließ sie
zusammenschauern. Dincklee rief nach Choyteler. Er bekam
keine Antwort.
Flüchtig inspizierten sie die angrenzenden Räume. Es
handelte sich teils um Wohn-, teils um Arbeitssektionen.
Unordnung oder etwas Auffälliges konnten sie nicht feststellen. Ein Lachen lockte sie in einen Raum, dessen Tür weit offen
stand. Vor einer Wand kleiner Bordkontrollschirme saß Choyteler. Er schien sich zu amüsieren. Bei ihrem Eintreten
wandte er sich halb um, erhob sich jedoch nicht.
»Sieh da, sieh da, ängstlich wie junge Hühnerchen!« Ein
spöttisches Lächeln flog über sein Gesicht. »Außer mir ist hier
niemand, der euch etwas Böses antun könnte. Dabei seid ihr zu
zweit und zudem schwer bewaffnet.« Seine Heiterkeit steigerte
sich zu schallendem Gelächter. Röte verdichtete sich unter der
Blässe seiner Haut. Mit provozierender Souveränität sagte er
dann: »Seht euch nur um, ob ihr etwas findet, was ich euch
verschwiegen habe, vielleicht etwas Belastendes.«
»Guten Tag, Doktor Choyteler«, sagte Irelin deutlich. Choyteler blinzelte belustigt. »Oh, guten Tag, junge Frau.« Er
erhob sich und verbeugte sich liebenswürdig. »Fünfundvierzig
Jahre lang habe ich mir gewünscht, es möge jemand kommen,
der etwas überaus Natürliches zu mir sagt, etwas, was nicht die
Zusammenhänge der Welt zu entdecken beansprucht. Und da
kommen Sie und wünschen mir einen guten Tag. Das ist
rührend. Sagen Sie mir, wie Sie heißen.«
Sie lächelte. »Ich heiße Irelin.«
»Irelin«, wiederholte er. »Was für ein schöner, moderner
Name. Aber Sie könnten genausogut Elisabeth heißen oder
Susanne.«
Dincklee war bemüht, mit keiner Äußerung die
Aufmerksamkeit des Alten zu erregen. Als er sie auswählte,
hatte er mit keinem Gedanken erwogen, ihren fraulichen
Charme zu benutzen. Jeperzon würde es wahrscheinlich »Das
Angenehme mit dem Nützlichen verbinden« nennen. »Den Herrn dort kenne ich bereits«, sagte Choyteler. »Ist er
Ihr Mann?«
»Ein bißchen«, sagte Irelin anzüglich. »Aber das liegt an ihm.
Er geht, wenn man ihn wegschickt, und kommt, wenn man ihn
ruft. Ansonsten ist er sehr mutig. Ich muß Sie vor ihm warnen. Es ist sein Lebensinhalt, heiße Kastanien aus dem Feuer zu
holen.«
»Soso«, sagte Choyteler. »Sind wir eine solche!«
Dincklee fand, daß sie es zu weit trieb, und sagte: »Ihr Fall ist
zumindest ungewöhnlich.«
»Aha«, erwiderte der Arzt. »Sie sind also tatsächlich
gekommen, um zu untersuchen, ob ich ein Wahnsinniger oder
ein Verbrecher bin. Geben Sie acht, vielleicht stellen Sie beides
fest.« Er kicherte. »Ich habe meine Kameraden tiefgefroren
und aufgefressen.«
»Bitte, Doktor«, sagte Dincklee hilflos.
Der Alte musterte ihn mit klaren Augen. »Ich habe mich vor
dem Moment, da das Verhör beginnen würde, gefürchtet.« Sein
Blick wanderte zu Irelin. »Deshalb bin ich froh, daß man nicht
eine Abordnung von Koryphäen geschickt hat, sondern ein
jungverliebtes Pärchen, das die Welt noch mit Augen sieht, die
mehr genießen wollen als erkennen.«
In ihrer Selbstverständlichkeit erregten die Worte Dincklees
Mißtrauen, doch er konnte nicht mehr als Frotzelei hinter ihnen
entdecken. Spott. In der Schärfe des letzten Wortes von
Choyteler drückte sich ein Überdruß aus, der ihm tragisch zu
sein schien. War es allein das Übermaß an Einsamkeit? »Verehrter Doktor Choyteler«, bemerkte er vorsichtig,
»können Sie uns erklären, was mit den Körpern Ihrer
Kameraden geschah?«
In Choytelers Augen glänzte ein belustigter Funke auf.
»Glauben Sie, ich hätte mich in einem Großraumsarg wohl
gefühlt?« Sein Finger tippte an eine unsichtbare Wand in der
Luft. »Ich habe sie dort bestattet. Dort! Wie es sich für einen
Kosmonauten gehört.«
»Wir wollen der Reihe nach vorgehen«, sagte Irelin. »Selbstverständlich«, erwiderte Choyteler. »Sehen Sie sich
als erstes um. Prüfen Sie alle technischen Einzelheiten.

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