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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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nachgedacht, ob dich dein Leben langweilt? Ich weiß, du wirst den Verdacht von dir weisen. Du sprachst einmal von Spannung. Weißt du, wann ein Leben voller Spannung verläuft? Nicht, wenn einem nichts mehr die Entscheidung abnimmt, sondern wenn man sich mit ihr selbst hergibt.«
    »Du meinst, wenn man sich opfert«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es dir schlecht erklären, mir fehlt ein Bezug zu unserem Leben. Vielleicht gibt es solche Möglichkeit, wie ich sie meine, gar nicht mehr. Es fällt mir schwer auszudrücken, was das sein könnte, was uns der Fortschritt abgenommen hat, denn wie es früher war, können
wir nur ahnen.«
    »Ich brauchte nicht anders zu sein, als ich bin«, sagte er, »um in unserer Zeit zu bestehen.«
»Das ist traurig«, sagte sie, küßte ihn und schwieg.
Kurz bevor sie einschliefen, bemerkte sie: »Liegt es daran, daß Choyteler aus der Vergangenheit stammt? Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, sein Problem wird uns mehr abfordern, als wir augenblicklich hoffen können.«
»Ist er wirklich unser Problem?«
»Das liegt in unserer Hand«, erwiderte sie.
In der Nacht erwachte er und mit einer Hellsichtigkeit, wie sie mitunter dieser Moment erzeugt, erkannte er das Wesen ihrer Worte. Er begriff die Chance, mit ihrer Hilfe über die Grenzen seines bisherigen Daseins hinauszugelangen. Er sah sein eigenes, abgestecktes Territorium, und er sah, daß es eng war. Er hatte Jonathan keine Chance gewährt, weil er selber eine suchte. Er verspürte eine Furcht wie noch nie in seinem Leben, die Furcht, vor ihr zu versagen, und die Furcht, daß sie ihn ausschließen könnte. Er fragte sich, wie weit er gehen würde, das Problem Choyteler zu lösen. Hoffte er noch immer, die Wahrheit würde sich von selbst entdecken, einfach weil sie die Wahrheit war? Er sagte sich, im Kampf mit dem Verbrecher Choyteler würde er sein Leben wagen. Aber das erschien ihm auf einmal nicht mehr wichtig. Verbrecher oder nicht, Irrer oder Philanthrop, das Ergebnis seiner Tat verlangte nach Klärung. Was sollte er dafür einsetzen? Sein Leben, das er stets für das Höchste gehalten hatte, wurde nicht verlangt.
Quälend verrannen die Stunden. Als die Uhr auf sieben zuging, beobachtete er ihr langsames Erwachen. Wie schön ein Mensch sein kann, kam es ihm in den Sinn.
Sie fanden Choyteler nicht und frühstückten schließlich ohne ihn. Ihrer beider Bedauern begegnete sich, doch gab ihnen seine Abwesenheit noch einmal die Möglichkeit, ihre nächsten Schritte zu erörtern. Irelin wirkte unkonzentriert und schien seinen Vorschlägen kein Interesse entgegenzubringen. Immer wieder wich sie mit völlig abseitigen Bemerkungen vom Thema ab oder unterbrach seinen Monolog, indem sie ihn mit zärtlichen Aufmerksamkeiten überhäufte. Es hatte den Anschein, als habe sie Choyteler weit weg geschoben, um diese Stunde, in der er bereitwillig den Vorläufer künftiger Stunden sah, für sie zu bewahren.
Wie am gestrigen Tag fanden sie den Eingang zur Zentrale weit offen. Stimmen ließen sie einen Moment lang zögern. Aus dem Schatten der Türnische wagten sie einen Blick in den Raum.
Die Arme über der Brust verschränkt, lehnte Choyteler an der Wand. »Bist du dir über die Konsequenzen im klaren?« fragte er soeben. »Damals handelte es sich um eine Notlösung. Dein Vorschlag ist überhaupt keine Alternative. Wer sollte so etwas auf sich nehmen?«
Es war John Kmers Stimme, die ihm antwortete: »Das ist die einzige Möglichkeit, jeden Verdacht von dir abzuwaschen und unseren Fortbestand zu sichern.«
Choyteler ergriff mit beiden Händen seinen Kopf, als müsse er ihn halten. Dann ließ er die Arme sinken. »Ich werde sie rufen.«
»Guten Morgen!« rief Irelin von der Tür her. Sie traten ein. »Kann ich mit John Kmer sprechen?«
»Er hat eben selber den Wunsch geäußert«, sagte Choyteler. »Ihm ist sehr an einer beiderseits befriedigenden Übereinkunft gelegen.«
Ein schroffer Ton unterbrach ihn. John Kmer fragte: »Nimmst du meine Gegenwart wahr, Irelin?«
Sie verneinte. »Kannst du mich sehen?«
»Ich sehe dich, ich höre dich. Ich könnte dich sogar erfühlen. Ich könnte alles mit dir tun, ohne daß du das geringste davon merkst. Aber das ist nicht meine Absicht.«
Irelin tat einen Schritt in die Richtung, aus der die Stimme zu kommen schien. Betroffen fragte sie: »Was spürst du von mir?«
»Eine köstliche Wärme«, antwortete die Stimme. »Feuchtigkeit, du bist erregt. Du benutzt ein Parfüm, das ich liebe.«
»Du

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