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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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belügst mich«, sagte sie.
Kmer lachte. »Deine Sinne sind unzureichend. Sie empfangen nicht meine Impulse.«
»Könntest du mich überall erreichen?« fragte sie.
»Überall«, bestätigte Kmer. »Wir können überall sein, überall in Raum und Zeit. Wir können sein ein Sandkorn oder ein Dinosaurier, ein Mensch oder ein Ungeborener. Wir können sein in der Vergangenheit und in der Zukunft.«
»Ihr lebt in einer Simultanwelt.«
»Das ist nicht richtig«, behauptete der Unsichtbare. »Wir nehmen am Geschehen eures Universums teil, an eurem Leben.«
»Aber ihr habt keinen Einfluß. Ihr könnt nicht verändern.«
Ihr antwortete ein Lachen. »Worauf könnt ihr schon Einfluß ausüben? Ihr meint, euch der Naturgesetze zu bedienen, und seid ihnen doch ausgeliefert. Die Enge eurer Individualität, ihre Abgeschlossenheit, begrenzt euer Abstraktionsvermögen und bedingt allein euren Tod. Ihr könnt nicht einmal einen vierdimensionalen Raum wahrnehmen. Nicht weil wir einen rationellen Energiehaushalt betreiben, haben wir ihn überwunden, den Tod. Sondern weil die Summe der Erfahrungen, die unsere Existenz uns möglich macht, unendlich ist. Die Anzahl unserer Sinne ist so groß wie die Zahl aller möglichen Impulse. Wir wären erst sterblich, wenn eine Erfahrung sich wiederholte.«
»Ich gebe zu«, sagte Irelin gleichmütig, »das übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Wir können euch nicht besser beistehen, als wenn ich mich selbst von der Art eures Daseins überzeuge.«
Dincklee verschlug es den Atem. Das also hatte sie geplant. Der Gedanke mußte ihr schon gestern gekommen sein. Unmöglich, so etwas in Minuten zu entscheiden. Er wollte sie zurückhalten, er wollte einen warnenden Ruf ausstoßen. Doch Kmer kam ihm zuvor.
»Es steht dir frei«, sagte er. »Choyteler wird dir den Weg weisen. Wir erwarten dich. Du sollst uns willkommen sein.«
Choyteler, als wollte er sie ebenfalls zurückhalten, öffnete weit die Arme. Doch wie hilflose Flügel sanken sie herab. »Nein! Das können Sie nicht von mir verlangen. Damals mußte ich es tun. Sie werden von einer Welt erfahren, die mir selbst aus der Hand geglitten ist. Sie ist mir unheimlich. Sie werden die Erinnerung daran mitnehmen, wenn Sie in Ihre Welt zurückkehren. Es wird Ihnen wie einem Süchtigen ergehen, der immer wieder seine Traumwelt besuchen muß. Auf der anderen Seite aber wird Ihr doppeltes Ich stehen und rufen: Komm doch! Sie werden nicht widerstehen können. Die Dinge dieser Welt werden für Sie ihre Bedeutung verlieren. Ihr Körper wird Ihnen wie eine Last erscheinen. Sie werden hin und her gerissen sein zwischen zwei Welten. Sie werden dazu verdammt sein, hier zu leben und von dort zu träumen.« Wie ein Tier, das seinen Bau verteidigt, lief Choyteler mit kurzen, schnellen Schritten vor dem Eingang zum Nebenraum auf und ab.
»Ihre Seele, Ihr Bewußtsein, das, was Ihre Persönlichkeit ausmacht, ist schließlich kein übermaterielles, ätherisches Ding, das sich verpflanzen ließe. Ich übertrage lediglich Kenngrößen. Ahnen Sie, wie das ist, wenn man sich mit sich selbst unterhalten kann? Das ist nicht faszinierend, sondern grauenhaft.«
»Doktor Choyteler«, sagte Irelin, »ich kenne mich gut genug, um zu wissen, was ich riskieren kann.« Ein flüchtiges Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Glauben Sie nicht, daß Sie mich zu einem Denkfehler verleiten können. Meine und der anderen Irelin Identität endet in dem Augenblick, da wir unterschiedliche Beziehungen zu unserer Umwelt aufnehmen. Es wird so sein, als brächte ich ein Kind zur Welt. Davor habe ich keine Angst.«
Choyteler seufzte. »Ich dachte, ich könnte Sie vor einer Unbedachtsamkeit bewahren. Vielleicht haben Sie recht, wenngleich ich glaube, daß Ihr Vergleich hinkt. Aber es ist wohl kein Zufall, daß Sie als Frau auf die Idee gekommen sind. Immerhin bin ich froh, einen Kronzeugen zu gewinnen.«
»Können Sie Garantien geben«, sagte Dincklee, »daß ihr nichts zustößt?«
»Nein. Ich kann lediglich auf eine siebenundzwanzigfache Erfahrung verweisen. Ich begreife Ihre Befürchtung und Ihren Vorwurf.«
»Dann verbieten Sie es ihr.«
»Tun Sie es.«
»Gut«, sagte Dincklee, »ich übernehme es.«
»Was soll das«, sagte Irelin. »Ich habe mich entschlossen. Ich habe mich freiwillig und ohne jeden äußeren oder inneren Zwang dazu entschlossen. Das ist durch keinen Heldenmut ersetzbar. Das hier ist nicht deine Aufgabe. Die Verantwortung trage ich.«
Choyteler verschränkte die Arme. Er schüttelte den

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