Störgröße M
fuhr er sie an. »Ich fliege nicht. Und wenn, dann würde ich nicht dich mitnehmen.«
»Sondern«, sagte sie.
»Jemanden, der operativ und nicht nach Dienstvorschriften denkt.«
Sie sah ihn unerschütterlich an. »Du wirst mich mitnehmen, weil du weißt, daß dies ein Fall ist, der mehr verlangt als Mut.«
Sie trat dicht an ihn heran und küßte ihn flüchtig auf den Mund.
Es klopfte. Was für ein Gesicht mache ich jetzt? dachte Dincklee. Aber herein trat nicht Irelin. Wie ein heimlicher Besucher schloß Jonathan leise die Tür. Dincklee atmete auf. Aber er fühlte sich trotzdem nicht erleichtert. Nur die Enge seiner Kabine wurde ihm erträglich. Der Vorwurf in Jonathans Miene traf ihn nicht sehr.
»Es ist ein Fehler wegzulaufen«, sagte Jonathan. »Ich bin oft genug weggelaufen. Es war immer ein Fehler.«
»Du hast eine Menge erlebt«, sagte Dincklee. »Du weißt vieles. Aber was fängst du damit an?«
Ein kindlich trauriges Lächeln entfaltete seine Schwingen in Jonathans Antlitz. »Wirfst du mir meine Schwäche vor?«
»Du tust mir leid.«
Jonathan schien in sich zusammenzukriechen. Der Sessel um ihn herum wirkte wie ein zu großer Panzer. »Ich bin ihnen nicht gewachsen, den Jeperzon und Ollstein.«
»Es kommt auf die Wahl der Mittel an«, erwiderte Dincklee.
»Mittel?« fragte Jonathan. »Was für Mittel? Sie brauchen mich nicht.«
»Du hast frühzeitig aufgegeben. Ich denke, zu früh.«
»Das ist ein böser Vorwurf«, sagte Jonathan leise. »Könnte man es nicht so formulieren, daß ich mein Terrain abgesteckt habe? Jeder hat doch sein Terrain.«
Dincklee stand auf. Fünf Schritte bis zum Fenster, fünf zurück. Die Riesenscheibe des Planeten stand in seinem Rücken. Dincklees Schatten war ein ungefüger Gast.
»Einmal«, sagte er, »einmal hast du eine Vorstellung gehabt davon, wie du leben willst.«
»Wie alle anderen«, erwiderte Jonathan. »Wenn man begriffen hat, daß man nicht mehr Fähigkeiten sein eigen nennt als der Durchschnitt aller Leute, dann muß man auch begreifen, daß man nicht anders als sie leben kann. Man kann keine anderen, höheren Ansprüche stellen, als man selbst zu verwirklichen imstande ist.«
»Das ist es«, sagte Dincklee. »Du hast an dich keine Ansprüche gestellt. Alles andere ist nur eine Folge davon.«
»Ich wünsch’ dir Glück«, sagte Jonathan, als er schon in der Tür stand. »Du hast die Kraft, es dir zu nehmen.«
Jeperzon kam hinter seinem Koordinierungstisch hervor. Er ergriff seine Rechte, umfaßte mit der Linken seinen Oberarm kurz über dem Gelenk. Alle seine Äußerungen wirkten überaus vertraulich. Dincklee witterte eine Falle.
»Ich freue mich«, sagte Jeperzon, als hätte es die Weigerung seines Zivilleutnants nie gegeben, »daß sich so schnell eine Gelegenheit ergibt zu Ihrer Rehabilitierung. Jeder Mensch muß die Möglichkeit bekommen, zu beweisen, daß er aus Fehlern gelernt hat. Um Sie von meinem Vertrauen zu überzeugen, stelle ich Ihnen die Wahl Ihres Begleiters frei.« Wie um seine Worte zu bekräftigen, packte er noch einmal Dincklees Arm und Hand und kehrte an seinen Platz zurück.
»Sie sind von wahrhaft inquisitorischem Großmut«, sagte
Dincklee.
»Schön, daß Sie Ihr Humor nie verläßt«, erwiderte Jeperzon.
»Also?«
Jonathan, wollte er sagen. Doch im selben Moment kam er
sich in seinem Edelmut lächerlich vor. Eine Chance,
Bewährung? Wollte er bei Jonathan Schicksal spielen wie
Jeperzon bei ihm? Nein, sagte er sich. Ein Mensch, der mit
vierzig noch nie die Kraft aufgebracht hat, sich zur Wehr zu
setzen und eine Chance festzuhalten, einen Moment der
Bewährung wahrzunehmen, der nie den Willen hatte, sich zu
kräftigen, der war verloren, für den war es zu spät.
»Irelin«, sagte er.
Offenbar überraschte er Jeperzon mit seiner Wahl
keineswegs. Ebensowenig ließ er sich anmerken, ob sie seine
Billigung fand oder nicht. Er nickte.
Dincklee war fast ein wenig enttäuscht, und ein wenig
bewunderte er Jeperzon in seiner Sicherheit, mochte sie
vorgetäuscht sein oder echt. Hatte er vielleicht doch
vorausgesehen, daß ihn Irelin begleiten würde? Immerhin hätte
er mit gutem Argument einen der Männer seines
Einsatzkommandos bestimmen können. Sie vertrauten ihrem
Chef Dincklee. Wäre es nicht sogar klüger? Was wußte er über
Irelin? Reizte ihn die Verunsicherung, die er durch sie erfuhr?
War er in sie verliebt? Er schüttelte den Kopf über sich und
seinen Drang, sich Schwierigkeiten zu suchen.
»Ich freue mich, daß Sie nicht auf Ihrer
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