Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
zurückbekommen. Ich habe Mitgefühl mit ihrer Notlage, aber Fehden, Plündern und Brandschatzen sind keine Lösung.«
»Was hatten sie denn für eine Wahl? Wenn Ihr eine Schlange reizt, dann müsst Ihr auch erwarten, dass sie zubeißt.«
Niall hatte nicht ganz unrecht, aber das bedeutete nicht, dass es den MacGregors viel nützte. Selbst das Gesetz konnte ihnen nun nicht mehr helfen. »Das wird ihr Schicksal nicht ändern. Sie werden immer noch dafür bezahlen müssen, was bei Glenfruin geschehen ist.«
»So wie meine Männer und ich dafür bezahlen werden, dass wir Euren Bruder angegriffen haben.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Euch Gerechtigkeit widerfährt.« Angesichts von Colins Anteil am Leid des Mädchens war es vielleicht passend, dass die Gerechtigkeit durch Jamie kam.
Gerechtigkeit . Was war in diesem Fall gerecht? Er hatte Gerechtigkeit stets mit dem Gesetz gleichgesetzt, aber dieses Mal war die Antwort nicht so eindeutig. Niall Lamont hatte es nicht leicht gehabt – die Entscheidungen, die er unter diesen Umständen getroffen hatte, erschienen verständlich. Caitrinas Vorwurf kam ihm wieder in den Sinn. Wurde er unbewusst von Duncans Verrat getrieben, und hatte das seine
Sicht von Recht und Unrecht starr und unbeugsam gemacht?
Er hatte Duncans Schuld nie in Frage gestellt, doch nun fragte er sich, ob er das möglicherweise hätte tun sollen. Hatte er seinen ältesten Bruder zu hart verurteilt? Das war ein ernüchternder Gedanke. Einer, der Auswirkungen hatte, die weit tiefer reichten, als Jamie in Erwägung ziehen wollte.
Niall beobachtete ihn aufmerksam. »Wisst Ihr, beinahe glaube ich Euch.« Jamie ruderte eine Weile weiter, bevor Niall das Schweigen brach. »Gebt ihr Zeit.«
Jamies Blick war scharf und abschätzend, während er sich fragte, was Nialls Absicht war. »Warum interessiert Euch das? Ich würde meinen, dass Ihr glücklich darüber wärt, wenn Eure Schwester mich los ist.«
»Ihr habt recht. Ihr seid so ziemlich der letzte Mann, mit dem ich meine Schwester verheiratet sehen möchte. Aber ich bin nicht blind. Ich sehe, was sie für Euch empfindet, und ich will, dass sie glücklich ist.«
Jamie nickte. Das will ich auch . Er wusste einfach nur nicht, ob er derjenige war, der sie glücklich machen konnte. Denn ganz gleich, was ihr Bruder sagte, Caitrina war es, die an ihn glauben musste.
24
C aitrina brauchte weniger als eine Stunde, um sich zu entscheiden. Sie würde nicht tatenlos herumsitzen und zulassen, dass ihr Bruder ihr genommen wurde – nicht noch einmal. Nicht, solange es in ihrer Macht stand, etwas zu unternehmen. Wenn Jamie nicht auf sie hören wollte, dann blieb nur noch eine einzige Person übrig, an die sie sich wenden konnte.
Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte die Welle des Abscheus nieder.
»Bist du dir sicher, dass du das tun willst, Caiti?« Mor begegnete ihrem Blick im Spiegel, während sie ihrer Frisur den letzten Schliff gab.
Caitrina erblickte ihr Spiegelbild und erschrak, geschockt über die Veränderung, die ein neues Kleid und ein paar Haarnadeln bewirkt hatten. Einen Augenblick lang war ihr, als werfe sie einen Blick in die Vergangenheit. Doch das Mädchen, das ihr aus dem vergoldeten Spiegel entgegensah, war nicht im Geringsten wie das Mädchen an jenem Tag im letzten Frühling, das ein schönes Gewand angezogen und einen gutaussehenden Ritter in einem verzauberten Königreich getroffen hatte. Dieses Königreich war für immer verschwunden – falls es überhaupt je existiert hatte. Wenn man genauer hinsah, konnte man die Veränderungen erkennen. Das Mädchen war nun eine Frau, die wusste, wie es war, alles zu verlieren und dennoch die Kraft zu finden, weiterzuleben – und wieder zu lieben.
Sie würde alles dafür geben, ihren Vater und ihren Bruder wiederzuhaben, aber das naive, behütete Mädchen, das sie gewesen war, wollte sie nie wieder sein. Jamie hatte ihr
nie die Wahrheit vorenthalten, sondern sie als gleichberechtigt behandelt. Nun, da sie nicht länger blind dafür war, was um sie herum geschah, erkannte sie, dass das Leben komplizierter war, aber auch reicher und bedeutungsvoller. Das war eine eigenartige Erkenntnis.
Sie strich über den weichen, silbrig blauen Samt ihres Mieders und verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. Eine Sache hatte sich nicht geändert: Sie wusste ein schönes Kleid immer noch zu schätzen. Sie hatte Mor mit dem Beutel Münzen ins Dorf geschickt, den Jamie ihr gegeben hatte, um ein neues Kleid
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