Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
gegenüber erfüllt – und Jamie Campbells Antrag angenommen hätte, wäre ihre Familie dann noch am Leben? Diese Fragen quälten sie mehr als alles andere.
Doch selbst, wenn sie nicht sicher wissen konnte, welche Rolle Jamie bei dem Angriff auf ihre Familie gespielt hatte, war es klar, dass sein Clan dafür verantwortlich war. Wenn sie die Campbells zuvor bereits gehasst hatte, dann war das nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt empfand. Ihr Hass schwärte wie eine offene Wunde, und sie schwor sich, dass sie für den Mord an ihrer Familie bezahlen würden. Es war dieser grimmig entschlossene Wunsch nach Gerechtigkeit, der sie aus dem Sumpf ihres eigenen Kummers riss.
Sie würde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Ascog ihren Leuten zurückgegeben wurde. Die verbliebenen Mitglieder ihres Clans waren alles, was ihr geblieben war, und sie schwor sich, dass die Campbells aus der Vernichtung ihrer Familie keinen Nutzen haben würden.
Endlich erreichte sie den Strand und bahnte sich ihren Weg über den felsigen Küstenstreifen. Die kleinen Kieselsteine stachen durch die dünnen Ledersohlen ihrer Schuhe. Sie ignorierte die Kälte und trat an die Wasserlinie, so dass die Wellen an ihre Zehenspitzen schwappten. Tief sog sie den salzigen Geruch der Meeresbrise ein, hob das Gesicht der eisigen Gischt entgegen und ließ sie über sich hinwegspülen, wie sie es schon viele Male zuvor getan hatte. Das Meer zog sie an, so als könnte sie in seinen schaumigen, blauen Tiefen Absolution finden. Doch seine reinigende Macht war trügerisch und allzu flüchtig. Sie liebte das Gefühl von Einsamkeit und Abgeschiedenheit, wenn sie an der äußersten Spitze von Cowal stand und auf die blaue See hinaus zur Isle of Bute hinübersah – nach Hause.
Als sie ein Geräusch hinter sich hörte, zuckte sie erschrocken zusammen. Angespannte Nerven waren eine weitere bleibende Erinnerung an den Angriff. Es war nur Bessie, eine alte Wäscherin und eine der Handvoll Bediensteter, die mit Caitrina von Ascog gekommen waren. Sie rannte zu ihr. »Hier, lass mich dir dabei helfen, Bessie«, sagte sie und nahm ihr den Korb mit Kleidung ab. »Das ist zu schwer für dich.«
Die alte Frau schenkte ihr ein breites und zahnloses Lächeln. »Gott segne Euch, Mistress. Auch wenn Mor mir die Haut abziehen wird, wenn sie sieht, dass Ihr mir schon wieder helft.«
Mor konnte nicht verstehen, warum Caitrina es vorzog, ihre Zeit draußen mit den Bediensteten zu verbringen statt mit ihrer Tante und ihren Cousinen in der Burg. Aber Caitrina fühlte sich in Gegenwart ihrer Toward-Verwandten nicht wohl. Ihre Clansleute von Ascog waren alles an Familie, was ihr geblieben war, und ihre einzige Verbindung zur Vergangenheit.
Caitrina lächelte Bessie verschwörerisch zu. »Nun, dann muss das eben unser Geheimnis bleiben.«
Die alte Frau lachte glucksend. »Ach, es ist schön, wieder ein Lächeln auf Eurem hübschen Gesicht zu sehen, Mistress.«
Mit einem Nicken bedankte Caitrina sich für die liebenswürdigen Worte, wenn auch nicht für die unterschwellige Anspielung auf ihr verändertes Naturell. In den langen, dunklen Tagen nach dem Angriff auf Ascog war Caitrina nicht sicher gewesen, ob sie jemals wieder lachen würde. Alles, was sie einmal gekannt hatte – ihr glückliches, sorgloses Leben als geliebte Schwester und Tochter – war fort. Tot.
Beinahe zwei Stunden lang schuftete sie an Bessies Seite und schrubbte und scheuerte das Leinen, bis ihre Hände rot und wund von der Seifenlauge waren. Doch sie bemerkte die Beschwerden kaum, sondern fand Trost in der harten Arbeit. Arbeit. Was ihr noch vor wenigen kurzen Monaten fremd gewesen war, wurde nun zu ihrer Erlösung.
Als sie mit der Wäsche fertig waren, legten sie die nasse Kleidung zurück in den Korb, und Caitrina half Bessie, ihn den Pfad zur Burg hochzutragen, wo sie die Wäsche zum Trocknen aufhängen würden.
Mor musste sie beobachtet haben, denn kaum hatte Caitrina den Burghof betreten, war ihre frühere Amme mit einem Rudel Dienstmägden zur Stelle, um ihnen ihre Last abzunehmen. Seit dem Überfall konnte Caitrina nicht einmal blinzeln, ohne dass Mor darüber Bescheid wusste. Vorher hatte Caitrina ihre gluckende Art als erdrückend empfunden, doch nun fand sie sie eigenartig tröstlich.
Sie schuldete ihr so viel.
Es waren Mor und eine Handvoll Bediensteter von Ascog gewesen, die die verletzte Caitrina heimlich in die Höhlen fortgeschafft hatten, während die Campbell-Soldaten immer
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