Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
noch die Hügel nach den übrigen Clansleuten ihres Vaters und den MacGregors durchkämmten. Zusätzlich zu dem Rauch, der ihre Lungen gefüllt hatte und ihr das Atmen erschwerte,
hatten die Schläge an den Kopf einigen Schaden angerichtet. Tagelang hatte sie immer wieder das Bewusstsein verloren. Als sie sich so weit erholt hatte, dass sie die kurze Entfernung über den Firth of Clyde zurücklegen konnte, hatte sie auf Toward Castle bei ihrem Onkel, Sir John Lamont of Inveryne, Zuflucht gefunden, der ihre besitzlosen Clansleute in seine Familie aufgenommen hatte, ohne Fragen zu stellen.
Mor wartete, bis die anderen gegangen waren, bevor sie Caitrinas Hände ergriff und sie umdrehte, um die geröteten Handflächen und rauen Fingerspitzen zu enthüllen. Tadelnd zog sie die ergrauten Brauen hoch. »Schau nur, was du mit deinen schönen Händen gemacht hast! Das muss aufhören, Caiti Rose …«
Caitrina erstarrte, denn der jähe Schmerz war beinahe unerträglich. Caiti Rose . So hatte ihr Vater sie immer genannt.
Ohne zu ahnen, welchen unbeabsichtigten Schmerz sie ihr verursacht hatte, fuhr Mor fort. »Es ist nicht richtig, dass du den ganzen Tag mit den Bediensteten arbeitest. Ich erkenne dich ja kaum noch wieder.« Mor musterte sie von Kopf bis Fuß. »Auch wenn du es nicht für angebracht hältst, irgendeines der Kleider zu tragen, die deine Tante dir so großzügig bereitgestellt hat, bist du immer noch die Tochter eines Chiefs. Was würde dein Vater denken, wenn er dich so sehen könnte? Vor einem Jahr hättest du dieses Kleid noch nicht einmal als Lumpen benutzt.«
Seufzend ignorierte Caitrina die Anspielung auf ihren Vater; diese Unterhaltung hatten sie schon öfter geführt. Sie sah auf das verschlissene Plaid herab, das sie über ihrem schlichten Unterkleid und kirtle trug, und wusste, dass Mor recht hatte: Sie war kaum noch als das verwöhnte Mädchen zu erkennen, das gerne schöne Kleider und Schuhe getragen hatte. Ein paarmal hatte sie sich dabei ertappt, sehnsüchtig die hübschen Samt- und Brokatstoffe anzusehen, die ihre Tante
ihr angeboten hatte, aber Caitrina konnte sich einfach nicht überwinden, wieder schöne Kleider anzulegen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Solcher Zierrat war eine schmerzliche Erinnerung an ein behütetes Leben, das nicht mehr existierte.
»Vor einem Jahr waren noch viele Dinge anders.«
Mor sah sie traurig an. »Ich weiß, Mädchen. Ich würde alles dafür geben, dein Leid lindern zu können. Aber es würde vielleicht helfen, wenn du darüber sprichst.«
Caitrina versteifte sich. Nein, das würde es nicht. Ihre Gefühle streng im Zaum zu halten war das Einzige, was sie aufrecht hielt. »Da gibt es nichts zu reden«, sagte sie bestimmt. »Nichts wird sie wieder zurückbringen. Ich will meinem Onkel und meiner Tante einfach nicht zur Last fallen.« Alles, was ihr an Besitz geblieben war, waren ihre Ländereien – Ländereien, die nun in den Händen Argylls lagen. Als ob er ihr nicht bereits alles genommen hatte. Doch das würde sich ändern.
»Sie sehen dich nicht als Belastung.«
»Was es nur noch schlimmer macht. Ich werde ihre Güte nicht ausnutzen. Sie haben doch schon so viel für uns getan.«
Mor machte eine Pause und bedachte sie mit einem langen Blick. »Du wirst dich nicht ewig hier verstecken können, Caiti. Irgendwann muss jemand erfahren, dass du überlebt hast.«
Ihr Herzschlag beschleunigte sich ängstlich. Sie wusste, dass ihr Onkel sie nicht ewig verstecken konnte. Er hatte sie mehr als einmal gefragt, warum es so wichtig war, dass niemand erfuhr, wo sie war. Aber wie konnte sie erklären, dass sie befürchtete, der Mann, der für die Zerstörung ihres Clans verantwortlich war, könne möglicherweise noch nicht genug haben. Obwohl es schwierig gewesen war, mit anderen Überlebenden des Angriffs Verbindung aufzunehmen, hieß
es, dass Jamie Campbell nach dem Überfall wie ein Besessener nach ihr gesucht hatte.
Sie blickte hoch zu Toward Castle, das mit den dicken Steinmauern des rechteckigen Wohnturms Ascog so ähnlich war, und fühlte, wie Panik sie erfasste – so als würden die Mauern sich um sie zusammenziehen. Sie konnte nicht mehr atmen. Heftig wirbelte sie herum und eilte wieder aufs Meer zu.
»Wohin gehst du?«, rief Mor ihr mit sorgenvoller Stimme nach.
An den einzigen Ort, wo sie sich sicher fühlte. »Vor dem Mittagsmahl bin ich wieder zurück«, antwortete Caitrina. »Ich muss noch etwas erledigen.«
Er hatte lange genug
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