Stolz und Verfuehrung
billigte seine Arrangements, schaute dann nach Hilda und ihren Mädchen. Die Vorbereitungen für das Mittagessen waren abgeschlossen, es konnte serviert werden. Hilda scheuchte sie fort, und lachend verließ Em die Küche.
Issy würde sich um das Mittagessen der Familie kümmern -zum Dank für die Unterstützung hatten sie Jonas und Joshua schon tags zuvor eingeladen -, und bis serviert wurde, blieb Em noch eine halbe Stunde Zeit. Sie ließ den Blick durch die Gaststube schweifen, entdeckte die üblichen vertrauten Gesichter. Lächelnd mischte sie sich plaudernd unter die Gäste.
Mr Hadley saß in einem Alkoven in der Nähe des Tresens. Von seinem Platz aus konnte er aus dem Fenster schauen und über den Gemeindeanger bis zur Kirche blicken.
Neben seinem Tisch hielt Em inne und lächelte. »Wie geht es mit Ihren Zeichnungen voran?«
Hadley erwiderte ihr Lächeln. »Ausgezeichnet, vielen Dank.« Er drehte seinen großen Zeichenblock herum und schlug ihn auf. »Wenn Sie sich selbst überzeugen wollen.«
Ems Blick fiel auf die ausgezeichnete Skizze einiger der Schnitzereien am Altar. Die Details waren außergewöhnlich gut getroffen. »Sie sind sehr talentiert«, meinte sie.
Er neigte den Kopf, war sichtlich geschmeichelt. »Vielen Dank.« Hadley bat sie mit einer Handbewegung, sich zu ihm zu setzen. »Bitte, werfen Sie doch auch einen Blick auf den Rest. Ich würde gern wissen, was Sie davon halten.«
Em ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder und blätterte zur nächsten Seite, auf der die exakte Wiedergabe einer anderen Schnitzerei zu bewundern war. Während sie sich durch das abgenutzte Skizzenbuch arbeitete, fand sie zahlreiche Studien ebenso wie abgeschlossene Zeichnungen. Es war bestechend, mit welcher Genauigkeit Hadley die Sehenswürdigkeiten getroffen hatte, so genau, dass sie sich beinahe einbildete, einen echten Gegenstand zu betrachten, wenn man vom Licht absah. Die Mehrzahl der Zeichnungen besaß weder viel Licht noch viel Schatten oder irgendeine Oberflächenstruktur; nur bei den Motiven, die ohnehin im Schatten lagen, hatte Hadley die Atmosphäre eingefangen - und die war hin und wieder recht schaurig geraten.
Lächelnd erläuterte Em ihm ihren Eindruck und schloss das Skizzenbuch.
»Ich zeichne nur, was ich sehe«, meinte er schulterzuckend.
»Dann besitzen Sie ein sehr feines Auge. Aber Sie sind doch zur See gefahren, nicht wahr? Mir ist zu Ohren gekommen, dass Seeleute ausgesprochen gute Augen haben.«
Er lachte. »Aye, das wird oft behauptet. Man sagt auch, dass Matrosen ihren Blick gern schweifen lassen. Nun, auch ich habe meinen Blick schweifen lassen und viele Orte gesehen - aber das ist damit wohl nicht gemeint.«
Em stützte den Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche. »Erzählen Sie mir mehr von den Orten, die Sie besucht haben.«
Hadley tat ihr den Gefallen.
Fasziniert lauschte sie seinen Beschreibungen, und es störte sie nicht, dass Hadley dabei seinen Charme bei ihr spielen ließ. Er gehörte zu den Männern, die sich das leisten konnten.
Hadley kam ihr vor wie ein offenes Buch, wie ein Mensch, der ganz und gar im Licht lebte - während aus seinen Zeichnungen hingegen eine Vorliebe für die Dunkelheit sprach. Das kam ihr merkwürdig vor und entfachte ihre Neugier.
Plötzlich zogen schrille Stimmen ihre und Hadleys Aufmerksamkeit zu der Szene vor dem Fenster. Die Zwillinge belagerten Filing, der sich dem Gasthaus näherte. Gertie und Bea hatten sich an den Vikar geklammert, zerrten ihn in Richtung Haus und plapperten wie ein Wasserfall.
Filing fügte sich gut gelaunt und ließ sich wie ein siegreicher Held durch die Gaststube führen. Die Gäste lächelten. Die Zwillinge waren zu sehr mit ihrer Parade beschäftigt, um Em in der Ecke sitzen zu sehen. Filing hingegen bemerkte sie durchaus und nickte in ihre Richtung. Aber sogleich forderten die Zwillinge wieder seine Aufmerksamkeit, zerrten ihn an den Tischen vorbei in die Küche.
Lachend wandte Em sich wieder Hadley zu, der sich zurückgelehnt hatte und noch tiefer in die Ecke der Sitzbank gesunken war. Erneut staunte sie über seine Vorliebe für den Schatten.
Hadley lächelte sein charmantes Lächeln. »Ihre Schwestern scheinen in den Vikar regelrecht verliebt zu sein.«
»In der Tat. Er ist ein sehr schätzenswerter Mann.«
»Sie müssen sehr erleichtert gewesen sein, die Mädchen zurückzubekommen. «
»Allerdings.« Sie spürte den vertrauten gewichtigen Blick in ihrem Nacken, schaute sich um
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