Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
mußte, jegliches Interesse an ihrem Nachbarn verlor. Mr. Wickham stand es daher frei, sich mit Elisabeth zu unterhalten, und sie hatte nichts dagegen einzuwenden, von ihm unterhalten zu werden, wenn sie auch nicht hoffen durfte, das zu hören, was sie am meisten beschäftigte, nämlich die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Darcy. Sie ihrerseits wagte natürlich nicht, den Namen auch nur zu erwähnen. Ihre Neugierde wurde aber dennoch unerwarteterweise befriedigt: Mr. Wickham schnitt von selbst das Thema an. Er fragte sie zunächst, wie weit Meryton von Netherfield entfernt sei; und als sie ihm geantwortet hatte, erkundigte er sich vorsichtig, wie lange Darcy sich dort schon aufhalte.
»Einen Monat etwa«, erwiderte Elisabeth; und besorgt, er könne auf etwas anderes zu sprechen kommen, fügte sie hinzu: »Er soll, soweit ich weiß, einen großen Besitz in Derbyshire haben.«
»Ja«, antwortete Wickham, »sein Besitz ist wirklich ungewöhnlich groß und dürfte ihm jährlich gut und gern seine zehntausend Pfund einbringen. Sie könnten keinen berufeneren Menschen finden als mich, um Ihnen über Mr. Darcy und seine Verhältnisse Auskunft zu geben; denn ich habe seiner Familie in besonderer Weise seit meiner Kindheit nahegestanden!«
Das Erstaunen in Elisabeths Gesicht war ungekünstelt. »Eine solche Behauptung kann Sie wohl verwundern, Miss Bennet, nachdem Sie erst gestern, wie ich annehme, die kühle Begrüßung zwischen uns gesehen haben. Sie sind sehr gut mit Mr. Darcy bekannt?«
»Besser bekannt zu sein wünsche ich mir nicht«, versetzte Elisabeth. »Vier Tage habe ich mit ihm unter einem Dach zubringen müssen, und ich fand ihn äußerst unangenehm.«
»Ob er angenehm ist oder nicht, darüber zu urteilen darf ich mir nicht das Recht nehmen«, sagte Wickham. »Ich habe ihn zu lange und zu gut gekannt, um unparteiisch zu sein. Aber ich glaube doch, daß Ihre Ansicht über ihn draußen einiges Erstaunen wecken würde; und Sie würden sich vielleicht auch nicht so deutlich ausdrücken, wenn Sie sich hier nicht inmitten Ihrer Angehörigen befänden.«
»Nein, wirklich, ich sage hier nichts anderes, als ich überall, außer in Netherfield, sagen würde. Er ist in der ganzen Gegend alles andere, nur nicht beliebt; jedermann wird von seinem Hochmut abgestoßen. Sie werden hier schwerlich ein freundliches Wort über ihn hören.«
»Ich will nicht vorgeben, es zu bedauern«, sagte Wickham nach einer kurzen Pause, »wenn er oder irgendwer nicht nach seinen Verdiensten beurteilt wird. Auf ihn trifft das aber kaum zu: alle Welt ist von seinem Reichtum und seiner Stellung geblendet oder durch sein hochfahrendes Wesen eingeschüchtert, und man sieht ihn nur so, wie er gesehen sein will.«
»Ich mußte ihn schon nach meiner kurzen Bekanntschaft mit ihm für einen sehr schlechten Charakter halten.«
Wickham schüttelte nur den Kopf.
»Ich möchte gern wissen«, sagte er nach einer Weile, »ob er noch längere Zeit in dieser Gegend bleiben wird.«
»Darüber weiß ich gar nichts; als ich auf Netherfield war, hörte ich nichts von einer baldigen Abreise. Aber Ihre Pläne mit dem hiesigen Regiment werden doch hoffentlich nicht von seinem Hiersein berührt«
»O nein, ich habe keinen Grund, ihm aus dem Wege zu gehen. Wenn er mich nicht treffen will, muß eben er es tun. Wir sind heute nicht mehr miteinander befreundet, und es ist mir immer peinlich, ihm zu begegnen. Aber weshalb ich mich bemühe, ein häufigeres Zusammentreffen möglichst zu vermeiden, das darf die ganze Welt erfahren: weil ich mich nämlich von ihm hintergangen fühle und weil es mich tief kränkt, daß er so ist, wie er ist. Sein Vater, der alte Darcy, war einer der besten Menschen, die je gelebt haben, und mein treuester Freund; daher erweckt der Anblick des jungen Darcy in mir immer tausend schmerzlich liebevolle Erinnerungen. Er hat sich gegen mich in der unglaublichsten Weise benommen; aber ich könnte ihm alles vergeben, nur das eine nicht, daß er die Erwartungen seines Vaters enttäuscht und seinen Namen entehrt hat.«
Je mehr Elisabeth hörte, desto mehr wuchs ihre Spannung; aber ihr Zartgefühl verbot es ihr, Fragen zu stellen.
Mr. Wickham begann, über andere Dinge zu reden, über Meryton, die Umgebung, die Gesellschaft; er schien mit allem, was er bisher davon gesehen hatte, sehr zufrieden zu sein, und sprach davon mit einer Achtung, die um so angenehmer wirkte, als sie nicht übertrieben klang.
»Die Aussicht, ständig in den besten
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