Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Kreisen verkehren zu können, hat mich hauptsächlich bewogen, hier um mein Patent einzukommen. Das Regiment war mir schon als eins der vornehmsten bekannt, und mein Freund Denny überredete mich vollends durch seine Erzählungen von dem schönen Quartier und der Aufmerksamkeit, die ihm in Meryton zuteil geworden sei. Geselligkeit ist für mich eine Lebensnotwendigkeit geworden. Die Enttäuschung, die ich erfahren habe, läßt mich die Einsamkeit fliehen. Ich brauche eine Beschäftigung, die mich ausfüllt, und Freunde, die mich ablenken. Eine militärische Laufbahn war nicht mein Ziel, aber Umstände haben mich sie jetzt wählen lassen. Ich hätte Geistlicher werden sollen und bin im Hinblick darauf erzogen worden; jetzt wäre ich in einer der einträglichsten Gemeinden im Amt, wenn es dem Herrn, von dem wir eben sprachen, nicht anders gefallen hätte.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich — der alte Darcy hatte mich für die beste Pfarre seines Patronats bestimmt. Er war mein Pate und mir überaus liebevoll gesonnen. Er wollte mich gut versorgt wissen und glaubte, das auf diese Weise erreicht zu haben; aber als die Pfarre frei wurde, erhielt sie ein anderer.«
»Mein Gott!« rief Elisabeth aus, »wie war das nur möglich? Wie konnte man so seinem letzten Willen zuwider handeln?«
»Das Testament enthielt eine geringfügige Ungenauigkeit, die dem Gesetz jede Möglichkeit genommen hätte einzuschreiten. Der wirkliche Sinn stand für einen rechtlich denkenden Menschen außer jedem Zweifel — Mr. Darcy jedoch sah sich bemüßigt, seinem Zweifel nachzugeben; er erklärte, das Testament enthalte nur eine bedingte Empfehlung und ich habe alle Ansprüche durch mein lockeres Leben, durch meine Verschwendungssucht, überhaupt aus allen erdenklichen Gründen verloren. Fest steht, daß die Stelle vor zwei Jahren frei wurde und daß ein anderer sie zugesprochen bekam; und nicht weniger steht fest, daß ich mir in aller Aufrichtigkeit nichts vorzuwerfen wüßte, weswegen ich ihrer hätte verlustig gehen müssen. Wahrscheinlich bin ich zu wenig vorsichtig in meinen Äußerungen, und es ist möglich, daß ich über Darcy und zu ihm selbst allzu freimütig gesprochen habe. Etwas anderes kann ich mir nicht denken. Die Sache ist eben die, daß wir grundverschiedene Charaktere sind und daß er mich haßt.«
»Das ist wirklich abscheulich! So etwas müßte öffentlich gebrandmarkt werden!«
»Früher oder später wird das auch geschehen, aber ich will nicht der Anlaß dazu sein. Die Erinnerung an seinen Vater hindert mich, den Sohn bloßzustellen.«
»Aber«, fragte Elisabeth nach einer Weile, »was mag ihn zu einer so gemeinen Handlungsweise getrieben haben?«
»Vermutlich eine gewisse Eifersucht. Wäre der Vater mir weniger zugetan gewesen, dann hätte der Sohn mich vielleicht mehr geschätzt. Aber die Liebe, die der alte Mr. Darcy mir bewies, hat ihn wohl schon als Kind gereizt. Er war nicht so veranlagt, daß er eine Bevorzugung, wie ich sie genoß, mit Gleichmut hätte ertragen können.«
»So schlecht hatte nicht einmal ich von Mr. Darcy gedacht, wenn ich ihn auch von Anfang an nicht gemocht habe; für so schlecht hätte ich ihn nie gehalten! Ich nahm wohl an, daß er alle Welt verachtet, aber ich ahnte nicht, daß er zu einer so gemeinen Niedertracht, einer solchen Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit herabsinken könnte!«
Nach einigen Augenblicken schweigenden Nachdenkens fügte sie hinzu: »Ich erinnere mich allerdings, daß er in Netherfield eines Tages mit seinem unversöhnlichen Charakter prahlte. Er muß ein abscheulicher Mensch sein!«
»Ich möchte mich darüber lieber nicht äußern«, entgegnete Wickham. »Ich kann darüber schwer unbefangen reden.«
Elisabeth schwieg wieder, tief in Gedanken versunken; dann rief sie aus: »Das Patenkind, den Liebling seines Vaters, den eigenen Freund in einer solchen Weise zu behandeln! Einen Freund noch dazu, der von frühester Kindheit an sein bester Gefährte gewesen ist!«
»Ja, den größten Teil unserer Kindheit verbrachten wir zusammen; wir wohnten im selben Haus, spielten die gleichen Spiele, von derselben väterlichen Liebe behütet. Mein Vater übte anfänglich denselben Beruf aus, dem Ihr Onkel hier mit so großem Erfolg nachgeht; aber dann gab er alles auf, um dem alten Mr. Darcy dienen zu können, und verwandte seine ganze Arbeitskraft und seine große Erfahrung auf die Verwaltung des Darcyschen Besitzes. Er stand in hohem Ansehen bei Mr. Darcy und war sein
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