Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Hätte er nicht die Pistole in seiner Hand, würde ich ihn sofort wie einen Zweig zerbrechen.
Als ich mich ihm und Hanna auf circa zwanzig Meter genähert habe, ruft er: »Stopp oder das Mädchen stirbt!«
Das Mädchen. Spricht man so von seinem eigen Fleisch und Blut? Ich befolge die Anweisung und bleibe stehen. Die raue, kratzige Stimme fuhr mir ohnehin wie ein lähmendes Gift in die Glieder. Ich erkenne sie auf Anhieb. Sie hat mich zuletzt in meinen Albträumen verfolgt. Vor mir steht der Mann, der Pia Waldenburg tot sehen wollte. Jetzt will er auch seine Enkelin ermorden.
Bevor ich ihn etwas fragen kann, erteilt er mir weitere Befehle. An seinem Tonfall merke ich, dass er es gewohnt ist, das Zepter zu schwingen. »Deine Waffe richtest du besser auf den Boden! Sollte der Lauf nur einmal in meine Richtung zeigen, ist die Kleine ebenfalls tot.«
Hanna will wieder etwas sagen, aber die Worte werden von dem blauen Stofffetzen verschluckt, der ihren Mund umwickelt. Ihre Füße und Hände wurden mit einem dünnen Seil an einem einfachen Holzstuhl befestigt. Der Strick wurde eng angelegt und scheuert ihre Gelenke auf. Sie schimmern rötlich. Die Tortur muss sie in dem kurzen Abendkleid über sich ergehen lassen, dass sie seit gestern trägt. Sie friert sichtbar in dem Hauch von Nichts. Ihre Nippel zeichnen sich als harte Hügel auf dem Stoff ab.
Ich fokussiere Waldenburgs blaue Augen.
Sie sind gnadenlos und tödlich. Er wird seine Drohungen wahr machen, wenn ich seine Regeln verletze. Daran besteht für mich kein Zweifel.
Ich wollte aber sowieso nicht auf ihn schießen, solange er sich hinter Hanna positioniert. Das Risiko eines Fehlschusses ist zu hoch. Sein Kopf wird zwar nicht von Hannas Körper verdeckt, aber meine zitternde linke Hand erscheint mir augenblicklich sehr unzuverlässig für die Anbringung eines präzisen Treffers. Offensichtlich will der schmale Mann irgendetwas von mir, sonst hätte er mich nicht herbestellt. Ja, andernfalls ruhte ich womöglich längst unter der Erde. Ich möchte seine Beweggründe in Erfahrung bringen, bevor ich mich auf einen wilden Schusswechsel einlasse.
» Was willst du von mir?«, frage ich ächzend. In meiner rechten Schulter brennt ein Feuer, das sich nicht löschen lässt.
Er lächelt unecht. »Stepanov ist tot, was?«
Ich brauche ihm nicht zu antworten.
Er weiß es bereits. »Nachdem du dich als würdig erwiesen hast, will ich dir einen Deal vorschlagen. Das ist gewissermaßen deine letzte Chance, um am Leben zu bleiben.«
Ich verstehe nicht so recht, auf was er hinaus will. »Muss ich jetzt wie Herkules zwölf Prüfungen bestehen, um in den Olymp der Vita brevis aufgenommen zu werden? Und Drago Stepanov war der Anfang?«
Er lacht kurz auf. Es klingt wie ein Husten. »Immer für einen Scherz gut, nicht wahr? Ganz so drastisch möchte ich dich nicht fordern. Dass du Stepanov besiegt hast, beweist deine Klasse zur Genüge.«
Ich schüttle unmerklich den Kopf und spreche meine ehrlichen Empfindungen aus. »Ich hatte nur Glück. Das beweist rein gar nichts.«
» Manche nennen es Glück, andere nennen es Können. Es kommt auf die Sichtweise an. Wichtig ist nur, dass du vor mir stehst und dir mein Angebot anhören darfst. Wie du es hierher geschafft hast, spielt keine Rolle.«
Ich starre auf Hannas Gesicht. Es ist wie so oft fest versiegelt. Außer leichter Besorgnis kann ich ihren Augen nichts entnehmen. Dann sehe ich wieder zu Waldenburg und spotte: »Welche Ehre! Welches Geschäft schwebt dir vor?«
» Fünf Millionen«, sagt Waldenburg nüchtern. Für ihn ist das eine alltägliche Zahl. »Ich biete dir fünf Millionen Euro aus meinem privaten Vermögen, wenn du Hanna tötest und mein Geheimnis mit ins Grab nimmst. Wie hört sich das an?«
Mir klingeln die Ohren. Hat er soeben fünf Millionen Euro erwähnt? Mit dem Geld hätte ich ein für alle Mal ausgesorgt. Ich könnte den Rest meines Lebens in der Karibik Däumchen drehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.
Hanna erkennt die Gier in meinem Blick und jammert durch ihren Knebel.
Ich ignoriere sie und beschäftige mich stattdessen mit ihrem reichen Großvater. »Das ist eine verdammte Menge Geld! Aber woher weiß ich, dass ich die Kohle dann auch bekommen würde?«
Er zuckt die Schultern. »Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht. Außerdem erkaufe ich mir somit deine Verschwiegenheit. Es wäre ja nicht so, dass mich der Verlust des Geldes sofort ins Armenhaus treiben würde, auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher