Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Regelmäßigkeit am Fenster vorbei. Die Mädchen waren noch da. Witterten sie den bösen Wolf vor ihrer Tür? Die Frage konnte ich getrost verneinen. Es ging keine Panik von der kleinen Waldhütte aus. Ruhig stand sie da, in ihrem rustikalen Charme. Sie wurde aus alten Brettern zusammengezimmert und besaß zwei Fenster an der Frontseite. Auf dem Dach wuchs schon Moos; aus dem steinernen Schornstein trat eine dünne Rauchsäule aus. Ich konnte die beiden Mädchen gut verstehen. Die Tage waren zwar noch warm, doch nachts wurde es bereits empfindlich kühl.
Ich spürte die Kälte auf meiner Haut. Frierend wartete ich auf die wärmende Dämmerung. Ich brauchte außerdem Licht für die Jagd. Im dunklen Wald gab es zu viele unberechenbare Faktoren, die mich erneut zurückwerfen konnten. Eine Wurzel, die mich zum Stolpern brachte. Schlamm, in dem ich versinken konnte. Ich wollte gute Sicht, brauchte den Erfolg und verlangte nach Hanna.
Als die dichten Baumwipfel für meinen Geschmack genug Sonnenlicht durchließen, wappnete ich mich für den Kampf. Ich schüttelte meine erkalteten Muskeln auf und verließ mein Versteck. Ich trat hinter der großen Eiche hervor und näherte mich der Hütte auf zehn Meter. Dort bezog ich hinter einem anderen Baum Stellung. Ich wollte Hanna möglichst kein Ziel für ihren Revolver bieten. Sollte eine Kugel abgefeuert werden, musste sie aus meiner Desert Eagle stammen. Soweit die Theorie. Aber um eine bekannte Figur aus einer Zeichentrickserie zu zitieren: ‚Theoretisch funktioniert auch der Kommunismus. Theoretisch.‘
Dennoch war die Zeit reif für die finale Konfrontation. Der Marathonmann bog auf seine Zielgerade ein. Mir wurde deswegen fast ein bisschen wehmütig ums Herz.
Ich streckte meinen Kopf hinter dem Baum hervor und erhob meine tiefe Stimme. »Komm raus, Hanna! Ich habe deinen Vater in meiner Gewalt.« Peter Cramme schlummerte wahrscheinlich noch friedlich mit seiner Beule am Kopf im Kofferraum meines Autos. »Falls du nicht kooperierst, töte ich ihn.« Ich erhielt keine Antwort und schrie weiter: »Ich weiß, dass du mich hörst. Er braucht einen Krankenwagen, sonst stirbt er.« Ich musste die Lage verschärfen, Druck aufbauen. »Wenn du dich mir stellst, lasse ich ihn gehen. Ihn und deine kleine Schwester. Sonst sterben sie beide vor deinen Augen. Es liegt ganz an dir.«
Ich gab Hanna ein paar Augenblicke, um meine Worte zu verdauen. Vielleicht würde sie nach einer kleinen Bedenkzeit zur Vernunft kommen und endlich einsehen, dass sie verloren hatte. Denn ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt als absoluter Gewinner des Kräftemessens zwischen Hase und Igel. Wie schnell das Blatt sich wendete, wissen Sie bereits.
»Mach hin, Süße! Dein Vater hat nicht mehr viel Zeit. Es wird auch schnell gehen, keine Angst. Der Tod tut nicht weh.« Ich wartete wieder vergeblich auf eine Reaktion. Meine Ausgangslage verschlechterte sich von Sekunde zu Sekunde. Je länger ich sie bequatschen würde, desto weniger würde sie mir glauben, dass ich ihren Vater unter Kontrolle hatte. Und ohne Druckmittel waren meine Verhandlungsoptionen sehr begrenzt. Ich hatte also die Wahl: Das Häuschen stürmen oder zurück zum Wagen gehen und Peter Cramme zur Waldhütte schleifen. Wenn ich ihm vor Hannas Augen eine Waffe an den Kopf halten würde, gab sie vielleicht eher auf.
Ich hatte mich gedanklich schon damit abgefunden, die vielen Kilogramm Fleisch und Knochen durch den Wald zu schleifen, als sich in der Hütte etwas tat. Ich hörte zerberstendes Glas auf der Rückseite der Hütte, gefolgt von brechenden Ästen. Rasche Schritte eilten tiefer in den Wald hinein. Mit einer Flucht hatte ich nicht gerechnet. Ich hielt Hanna Cramme vorher nicht für einen kleinen Feigling, der bereitwillig seine Familie für sein eigenes erbärmliches Leben opferte.
Ich löste meine Starre und rannte um die Hütte herum. Zerbrochenes Glas lag im Laub hinter dem Unterschlupf. Zwischen den Bäumen vor mir lief tatsächlich Hanna um ihr Leben. Sie hatte sich durch ein improvisiertes Hintertürchen verabschiedet und dabei vermutlich ihre Schwester in der Hütte zurückgelassen. Ich hatte keine Zeit, zu überprüfen, ob noch jemand in dem Häuschen hockte. Hanna war circa fünfzig Meter von mir entfernt. Ich musste sie jetzt gleich ausschalten.
Ich hob meine Desert Eagle und zielte auf ihre Wirbelsäule. Ein Treffer und alles hätte vorbei sein können, doch ich versagte. Ich gab zwei Schüsse ab. Eine Kugel schlug in einem
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