Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
mal eine nützliche Sache.
Ich suche Blickkontakt zu einem Arzt, der neben mir herrennt.
Er bemerkt meine Bemühungen.
Ich erkenne aufrichtige Sorge in seinen Augen.
Der Kerl setzt ein gezwungenes Grinsen auf und sagt: »Halten Sie durch! Wir sind gleich im OP. Die Chirurgen flicken sie wieder zusammen.« Das klang so, als wäre ich im Zweiten Weltkrieg verwundet worden und hätte beide Beine verloren.
Trotzdem schöpfe ich Hoffnung aus diesen Worten. Nicht weil sie sonderlich aufbauend gewesen wären, aber es sind die ersten zusammenhängenden Sätze, die seit dem Hinterhalt im Wald zu mir durchdringen konnten. Ich versuche, zu lächeln.
Offenbar misslingt es, weil die Leute um mich herum wieder laut losschreien. Die Worte verstummen.
Meine Augen schließen sich. Mein Puls sackt in den Keller. Ich bin gefangen in einem schwarzen Raum ohne Licht. Von der Mitte des Raumes geht ein dumpfes Geräusch aus. Bumm, bumm, bumm. Es ist träge und sehr basslastig. Ich bewege mich darauf zu. Ein tiefer Kummer bedrückt die Quelle des Geräusches. Ich strecke meine Hand aus, will den Kummerkasten aufmuntern. Aber ich greife ins Leere.
Der schwarze Raum löst sich auf. Das dumpfe Hämmern verblasst. Habe ich eine Nahtod-Erfahrung? Bin ich schon tot? Der Boden unter meinen Füßen verschwindet. Ich falle in die Unendlichkeit. Immer tiefer. Und ich schreie. Ich schreie so lange, bis mir die Luft ausgeht und meine Lungen brennen. Der Sturz dauert ein ganzes Leben. Der Abgrund scheint unendlich zu sein.
Doch ich sterbe nicht. Mit einem Stöhnen wache ich in einem Krankenhausbett auf. Ich liege in einem weißen, weitläufigen Zimmer und bin von mehreren Schläuchen umgeben, die die verschiedensten Dinge in meinen Körper pumpen. Schmerzmittel, Nährstoffe, Blut, Sauerstoff. Ich sauge die Substanzen gierig auf. Direkt neben mir liegt eine Person, die von Kopf bis Fuß eingegipst wurde und demnach aussieht wie eine ungeschickte Zeichentrickfigur. Ich kann nicht erkennen, ob es sich bei meinem Bettnachbarn um Männlein oder Weiblein handelt. Ich vernehme leichtes Stöhnen von anderen Patienten und eine allgemeine Betriebsamkeit des Personals. Aber diese Einflüsse sind zu weit entfernt; ich kann mich nicht darauf konzentrieren. Von der linken Seite dringen piepsende Töne zu mir herüber, die meine Herzfrequenz auf einem Monitor anzeigen. Ich liege auf der Intensivstation.
Das alles lässt mich annehmen, dass es bei der Notoperation verdammt schlecht um mich stand. Vielleicht lagen meine Überlebenschancen sogar weit unter fünfzig Prozent. Und wie stehen meine Chancen jetzt?
Ich lausche in meinen Körper hinein. Mein Rücken schmerzt höllisch. Es ist ein stechendes Brennen. Ich kann mich nicht entscheiden, welches Gefühl überwiegt. Die Atmung fällt mir schwer. Es fühlt sich so an, als würde bei jedem Luftzug mein Oberkörper explodieren. Mein Herz schlägt allerdings regelmäßig. Fest und starrsinnig. Mein großer Lebensmuskel ist ein Kämpfertyp. Ich kann meine Finger und Zehen bewegen, was eine Lähmung ausschließt. Ich muss lächeln. Als ich meinen rechten Arm anheben will, zuckt er unter großer Pein zurück. Von der Schulter abwärts durchschießt ein greller Blitz meinen Körper. Der Durchschuss. Ich verstehe. Ich würde die Gesamtsituation als ‚beschissen‘ titulieren. Trotzdem hätte es weitaus schlimmer kommen können.
Mein Kopf macht sich Notizen und plant schon das weitere Vorgehen. Rücken und rechte Schulter tun furchtbar weh. Ich brauche Schmerzmittel dagegen. Oder ich beiße gewaltig auf die Zähne, was mir auf Dauer schwer fallen wird. Ich werde den rechten Arm außerdem in nächster Zeit nicht sonderlich stark belasten können. Ich muss die Waffe nach links wechseln, was meine Treffsicherheit um ungefähr zehn Prozent beeinträchtigen wird. Meine Beine blieben unbeschadet. Ich kann also laufen und notfalls aus dem Krankenhaus fliehen. Eine Flucht würde ebenfalls zum Kraftakt verkommen. Ich werde nicht schnell oder lange rennen können, weil meine Atmung dafür zu flach ist. Der wenige Sauerstoff, den meine Lungen aufnehmen, wird für einen ausgedehnten Sprint nicht genügen. Generell darf ich es in den nächsten Tagen mit körperlicher Aktivität nicht übertreiben. Meine Einschusswunden könnten wieder aufplatzen und mich diesmal endgültig verbluten lassen.
Über den Daumen gepeilt kann ich dennoch feststellen, dass ich Glück hatte. Ich lebe, wenn auch vorerst nur als halber Mann. Hanna
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