Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Jahren hinten anstellen. Sie stand vor dem Spiegel und putzte sich die Zähne. Ihre grünen Augen verdammten ihr zerzaustes braunes Haar, dass sie jeden Tag erst mühselig zurechtbürsten musste. Gelegentlich hatte sie diese Sisyphusarbeit auch satt. Dann zwängte sie ihre störrischen Borsten einfach in einen strengen Pferdeschwanz. Heute durfte sie nicht so verlottert herumlaufen. Sie musste gepflegt aussehen. Sie rümpfte ihre kleine Stupsnase, während sie sich gedanklich über die bevorstehende ‚Arbeit‘ ärgerte. Gewiss war sie nicht eitel, aber auf einem Wohltätigkeitsball durfte man nicht umherschlurfen, als wäre man gerade aufgestanden. Das erforderte ihr gottgegebener Sinn für guten Geschmack. Sie wollte sich nicht wie eine Diva herausputzen, aber etwas Schminke und ein langes Abendkleid durften ihren Körper gerne schmücken. Auch wenn das Abendkleid bei ihren Proportionen gar nicht so viel Stoff verschlang. Sie war eine zierliche Frau, circa ein Meter sechzig. Alles an ihr war klein, ihre Füße, ihre Hände und sogar ihre Brüste. Es gab Tage, an denen sie sich mehr Oberweite als Körbchengröße A wünschte; in solchen Momenten dachte sie wieder an eine vollbusige Freundin, die ständig über Rückenbeschwerden und Hängebrüste klagte. Ein gutes Mittelding zwischen beiden Extremen hätte ihr gut zu Gesicht gestanden, aber ihre Gene hatten eben andere Baupläne.
Pia Waldenburg spuckte die Zahnpasta in das Waschbecken. Sie spülte sich den Mund mit Wasser aus. Anschließend schaute sie ein letztes Mal in den Spiegel und schüttelte den Kopf. Noch konnte sie das Beauty Case geschlossen halten. Sie musste sich erst am späten Nachmittag für den Ball fertig machen. Bis dahin konnte sie auch in ihrer ungeschönten Natürlichkeit herumlaufen.
Sie verließ das Bad und genoss die ungewohnte Ruhe in ihrem Haus. Alle Vöglein waren ausgeflogen. Die Jüngste hatte sie vor wenigen Minuten erst aus der Haustür entlassen. Sie drehte eine fröhliche Pirouette und lachte über ihre Albernheit. Freiheit und unbändige Freude übermannten ihr Herz. Es könnte ihr Tag werden. Ein Tag zum Faulenzen und Entspannen. Sicher, es war Montag und trotzdem war es ihr freier Tag. In ihrem Job war es normal, dass man auch mal am Wochenende arbeiten musste; deswegen holte sie ihre verdiente Freizeit manchmal unter der Woche nach. Auch der Fall, der sie gerade in Beschlag nahm, forderte sie zu Zeiten, an denen andere für gewöhnlich mit ihren Freunden ins Kino gingen oder fein zum Essen ausgeführt wurden. Sie hatte solche Abende schon lange nicht mehr verleben dürfen. Einerseits sehnte sie sich nach der unbeschwerten Zeit ihrer Jugend, in der sie jedes Wochenende die Clubszene Berlins unsicher machte, andererseits hatte sie sich mit ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter gut arrangiert.
Man konnte ja auch nicht behaupten, dass sich die Action vollständig aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Sie holte sich ihre Adrenalinschübe eben in ihrem Berufsleben ab. Manche Aufträge waren ihr beinahe schon zu gefährlich geworden. Wenn sie sich mit schmierigen Ganoven in einem Schusswechsel befand, konnte sie vor Nervosität kaum noch vernünftig zielen. Ständig quälten sie die gleichen Fragen: Was wäre, wenn ein Querschläger sie tödlich verwunden würde? Käme ihre Familie ohne sie zurecht? Wie würde es dann weitergehen?
Ihr Ehemann, Peter, wäre bestimmt tief deprimiert. Er könnte in ein Tal der Tränen fallen, aus dem es kein Entkommen gab. So sehr hing er an ihr. Ab und zu hatte er sie schon darum gebeten, sich in den Innendienst versetzen zu lassen. Bislang hatte sie sich immer dagegen gesträubt, schon aus Prinzip. Sie war zu stolz, um sich mit Mitte dreißig bereits hinter den Herd verbannen zu lassen. Sie wollte nicht am Schreibtisch versauern und zu Hause die brave Mutter spielen. Von diesem Horrorszenario hatte sie als junges Mädchen bereits Albträume bekommen. Eingesperrt in eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einem biertrinkenden Ekel, das vor dem Fernseher vergammelte, und mehreren plärrenden Kindern, die ihr unablässig ab Rockzipfel zerrten. Eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung.
Glücklicherweise war die Realität nicht annähernd so schlimm. Peter liebte sie aufrichtig. Er trug sie auf Händen, so oft es seine kranke Hüfte zuließ. Die Mädchen waren ruhige und genügsame Babys gewesen, die nun langsam zu wahren Schönheiten heranreiften. Und genau diese beiden Mädchen ließen sie inzwischen an ihren früheren
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