Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Somit konnte das Projekt nach zehn Monaten voller Arbeit und Schlafentzug fertiggestellt werden. Es wird sich in den nächsten Wochen zeigen, wie gut die Herberge von den Teenagern der Region angenommen wird. Der gestrige Besucherstrom lässt allerdings vermuten, dass die Erbauer die richtige Eingebung hatten und den Club am optimalen Standort eröffnet haben. Finanziert wird das Projekt aus Zuschüssen von der Stadt und durch private Spenden. Auch jetzt werden ausrangierte Möbel oder Utensilien zur Freizeitgestaltung gerne noch angenommen.
So witzelt Peter Cramme, der vom ersten Tag an mit fester Überzeugung hinter dem Projekt stand: »Einen Billardtisch könnten wir noch gut gebrauchen. Daran hätten auch die Betreuer ihren Spaß.« Angesprochen auf den ungewöhnlichen Namen für den Club, erläuterte er noch: »‘Auf die Zwölf‘ klingt so, als ob es hier drunter und drüber gehen würde, ich weiß. Der Name war auch nicht unsere Idee. Wir sammelten Vorschläge von Jugendlichen aus Tempelhof und stellten die besten zur Wahl in einer regionalen Realschule. ‚Auf die Zwölf‘ setzte sich durch, auch wenn ich nicht hoffe, dass der Name zum Programm wird. Die Jugendlichen sollen ihren Spaß haben, aber auch an ihre Hausaufgaben denken.« Dennoch sei es den Gründern wichtig gewesen, dass die Teenies die Namensvergabe bestimmen durften. Sie sollten von Anfang an ein wichtiges Teil des Projekts sein und im Vordergrund stehen. Der Jugendclub solle vor allem ihnen gefallen und nicht nur den Betreuern oder Eltern.
Scheinbar ging dieses Vorhaben auf, denn Crammes Fazit nach dem langen Tag lautete schlicht: »Wenn ich die lachenden Gesichter hier sehe, weiß ich, dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat. Auch wenn es abgedroschen klingt: Kinder sind unsere Zukunft.« In diesem Sinne soll das Projekt in den nächsten Jahren gut gedeihen.
Die Unterschrift unter dem verblassten Bild lautet: ‚Von links: Jürgen Weißhaupt, Hermann Dittgen und Peter Cramme nach dem festlichen Aufschließen der Eingangstür‘.
Ich schlage den Band zu und mache mir meine Gedanken. Gewissensbisse plagen mich. Muss Peter Cramme ausgerechnet ein Gutmensch sein? Warum ist er kein Arschloch, das kleine Tiere lebendig verbrennt? Ich schlucke und staune über sein soziales Engagement. Was habe ich jemals für die Allgemeinheit getan? Einen Scheiß! Aber soll ich mich daran messen lassen? Dafür bin ich ziemlich reich und er nicht. Das ist doch etwas, oder?
Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Ich traue mich kaum, das andere Buch zu öffnen. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir. ‚Peter Cramme spendet Knochenmark an todkrankes Kind.‘ Die Geschichte würde hervorragend in seinen Lebenslauf passen. Und was habe ich ihm als Dank angetan? Ich habe ihn verprügelt und ihm zwei Finger gebrochen. Ich ekele mich vor mir selbst.
Ich vergrabe mein Gesicht in meine Hände und ringe mit meinen inneren Dämonen. Was ist mit mir los? Seit wann entdecke ich mein Gewissen? Es war mir doch immer egal, wen ich getötet habe. Oder nicht? Die Antwort schlägt bei mir ein wie eine Bombe. Ja, es war mir stets egal, weil ich nie nach den Hintergründen der Opfer gefragt habe. Die Jobs wurden schnell erledigt, meist kannte ich nicht mal den vollen Namen der Todeskandidaten. Doch diesmal bin ich tief in ein Leben eingedrungen und baue langsam eine Beziehung zu Hanna und ihrer Familie auf, eine Brücke zu meinem unerforschten Gefühlsleben. Ich verfluche das Mädchen. Hätte sie bei unserer ersten Begegnung nicht einfach tot umfallen können? Alles wäre so viel leichter. Ich könnte mir von ihrem Kopfgeld einen Urlaub in der Südsee leisten, und das Märchen hätte ein Happy End.
Die Realität ist eine andere. Ich muss ihr kaltschnäuzig gegenübertreten, um keinen Schiffbruch zu erleiden .
Sei kein Schlappschwanz , flüstert meine innere Stimme. Zieh einfach dein Ding durch! So wie immer. ‘ Ja, das Teufelchen auf meiner Schulter liegt wie immer goldrichtig. Augen zu und durch!
Ich schlage Band sechsunddreißig auf und suche den Lokalteil vom neunten Mai 2003. Ich blättere ihn schnell durch, will nichts sehen bis auf diese beschissene Seite dreiunddreißig. Der Geruch des alten Papiers steigt mir wie Fäulnis in die Nase. Es ist eine böse Vorahnung, die mich heimsucht. Die Assoziation mit dem Tod. Ich dachte, ich wäre auf alles vorbereitet, aber Seite dreiunddreißig trifft mich wie ein Hammer mitten ins Gesicht und
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