Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Gehen wir ein paar Schritte, ins Büro müssen wir noch früh genug.«
Sie gingen nebeneinanderher. »Was halten Sie von diesem Fall, Mirwald?«
»Da hatte der Pfarrer den richtigen Riecher. Obwohl ich mir nach wie vor nicht sicher bin, ob er uns die ganze Wahrheit erzählt hat. Außerdem müssen wir klären, wer die Unbekannte ist und wie lang die Tat zurückliegt. Es käme auch Totschlag infrage. Der wäre nach dreißig Jahren verjährt. Lag das Skelett schon länger dort, bräuchten wir gar nicht mehr ermitteln.«
»Solche theoretischen Betrachtungen sind für uns nicht relevant. Hier wurde ein Mensch gewaltsam zu Tode gebracht. Unsere Aufgabe ist es, das geschehene Unrecht aufzudecken und dadurch dem Opfer eine Stimme zu geben.«
»Wenn sich jedoch …«
»Nicht mal dran denken. Wollen Sie lieber vor Ihrem Schreibtisch sitzen und öde Abteilungsbesprechungen besuchen? So eine Chance bietet sich so schnell nicht wieder. Außerdem tun Sie nebenbei was für Ihre Persönlichkeitsentwicklung: Sie lernen, wie die Menschen im Bayerischen Wald ticken, da können Sie sich was abschauen, das ist wie eine kostenlose Fortbildung.«
»Soll ich Lederhosen anziehen, um mich mit der Bevölkerung zu verbrüdern? Vielleicht noch Schuhplatteln?« Mirwald imitierte mehr schlecht als recht, was er für einen Schuhplattler hielt. Passanten blieben stehen, um das groteske Gehopse des Anzugträgers zu betrachten.
»Hören Sie auf, bitte, das ist doch peinlich…«
»Wie ich’s mache, ist es verkehrt. Dabei kann ich mich sehr gut in diese Leute und ihre Gebräuche hineinversetzen. Sie werden schon noch sehen.«
»Herr Doktor, Ihre Talente liegen auf anderen Gebieten. Ein Fußballer muss nicht gleichzeitig stricken können. Schauen wir lieber, was das Labor über unser Opfer herausbekommen hat.«
Der Leiter der forensischen Abteilung begrüßte die beiden Kommissare. »Sie wollen sicher unsere Resultate über das Skelett abholen, einen Moment.« Er kramte in den Schubladen und holte einen Schnellhefter heraus. »Hier haben wir’s. Lassen Sie mich mal sehen.« Dann war es eine Zeitlang still, bis der Mann die Akte gelesen hatte.
»Also?« Mirwald konnte seine Ungeduld nicht verbergen.
»Die Leiche ist weiblich, hat …«
»Das wissen wir schon, beschränken Sie sich bitte auf die Highlights.«
»Highlights?« Der Abteilungsleiter sprach das Wort aus, als habe er auf ein Senfbonbon gebissen. »Sie meinen die Zusammenfassung der wichtigsten Punkte, Herr Doktor Mirwald? Na schön. Unsere Analysen haben ergeben, dass die Frau siebzehn Jahre alt war.«
»Ein Mädchen?«
»Sie war einen Meter zweiundsechzig groß, hatte braunes Haar und gesunde Zähne. Schuhgröße sechsunddreißig, schlanke Figur, ebenmäßiges Gesicht, nicht unbedingt eine Schönheit.«
»Woher stammte sie?«
»So weit sind wir mit unseren Verfahren noch nicht, dass wir aus Knochen die Postleitzahlen herauslesen können, Herr Mirwald.« Der Mann verzog das Gesicht. »Kein afrikanischer oder asiatischer Typ, falls Sie das meinen.«
»Wie lange lag die Tote in dem Acker? Ein genauer Zeitraum würde uns die Arbeit erleichtern«, sagte Dix.
»Das ist der schwierigste Teil der Untersuchungen. Wir nutzen Studienergebnisse und eigene Erkenntnisse aus dem Verwesungsprozess. Dazu haben wir die Erde des Ackers analysiert. Wir konnten es eingrenzen auf eine enge Bandbreite, zwanzig Jahre, vielleicht ein Jahr mehr, vielleicht ein Jahr weniger.«
»Das ist verdammt lang her. Da sind die meisten Spuren längst kalt, wenn es überhaupt welche gab.«
»Übrigens wissen wir nicht, ob der Fundort der Leiche zugleich der Tatort ist. Die Frau hätte auch erst nach ihrer Ermordung dorthin transportiert und vergraben werden können.«
»Sie haben uns sehr geholfen.« Dix schüttelte dem Abteilungsleiter die Hand.
»Die Akte gebe ich Ihnen mit. Ich habe eine Röntgenaufnahme von den Zähnen machen lassen. Möglicherweise hilft das bei der Identifizierung.«
In seinem Büro riss Dix das Fenster auf. »Ganz schön stickig hier.« Er suchte in einem Büchlein nach einer Telefonnummer. »Wir sollten Pfarrer Senner anrufen und ihn über die Ergebnisse informieren.«
»Warten Sie noch eine Weile«, sagte Mirwald. »Ich genieße die Vorstellung, dass unser lieber Herr Pfarrer vor Angst schwitzt, weil er mit einer Anklage rechnen muss.«
»Das wäre unfair. Schließlich hat er uns auf die Spur gebracht. Das sind wir ihm schuldig.« Dix wählte die Nummer und berichtete Baltasar
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