Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
natürlich einen gewissen Spielraum, wenn Sie verstehen. Eine Hand wäscht die andere, das ist meine Devise. Sie werden mich doch bei der geplanten Immobilieninvestition unterstützen, oder?«
Baltasar nickte. Er brauchte die Information, auch wenn er sich nicht wohl dabei fühlte, in die undurchsichtigen Geschäfte des Bürgermeisters verwickelt zu werden.
»Gut, dann sind wir uns einig, es bleibt selbstredend unter uns.« Er gab mehrere Befehle ein, bis eine Liste auf dem Bildschirm erschien. »Fehlanzeige. Niemand, auf den eine solche Beschreibung passen könnte. Weder bei den verwaisten Positionen im Melderegister noch bei den vermerkten Ortswechseln oder Todesfällen. Das führt mich zu dem Schluss: Diese Frau war nie hier.«
Zu Hause ging Baltasar auf den Dachboden und schleppte alte Kirchenbücher in die Küche. Er durchforstete alle Jahrgänge, die infrage kamen, wobei er besonders auf die Todesfälle achtete. Doch alle Namen aus jener Zeit trugen einen Vermerk, wo die Person bestattet worden war. Auch seine Suche nach den Geburtsdaten von Menschen, die heute siebenunddreißig Jahre alt wären, blieb ergebnislos. Er stieß zwar auf knapp zwanzig mögliche Namen, aber für alle fanden sich nachvollziehbare Lebenswege. Wer war die Unbekannte? Die Frage erschien Baltasar immer mysteriöser.
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B altasar blätterte in den Bänden. Er hatte seine Bitte der Lokalredaktion in Freyung vorgetragen, wo man ihm die Jahrgänge der Regionalausgaben besorgt hatte. Er startete mit den Berichten vor einundzwanzig Jahren und arbeitete sich langsam vor. Es war ein mühsames Geschäft, die endlosen Artikel über Vereinstreffen, Sitzungen des Gemeinderats, Baumaßnahmen, Landwirtschaftsausstellungen, Besuche von Landtagsabgeordneten, die alle der richtigen Partei angehörten, Reportagen über Feste, Umzüge oder Tanzveranstaltungen, Kommentare zu Entscheidungen von Lokalpolitikern. In diesem Meer von Geschichten fischte Baltasar nach Anhaltspunkten, und seine Augen schmerzten. Die eingestreuten Polizeimeldungen zu entdecken glich der Suche nach einem Kiesel im Schotterfeld. Einbrüche und Diebstahl, Alkohol am Steuer und Vandalismus, Ruhestörung und Schlägereien – nur keine Gewaltverbrechen, von Verkehrsunfällen mit Todesfolge einmal abgesehen, wo Niederbayern in der Statistik einen unrühmlichen vorderen Platz einnahm.
Ein größerer Bericht über eine Messerstecherei nach einem Volksfest fiel ihm auf, aber schon zwei Ausgaben später wurde die Verhaftung des Täters gemeldet. Zum Thema Vermisste meldete die Zeitung eine jugendliche Ausreißerin, die eine Woche später bei ihrer Oma in Heidelberg auftauchte. Mehrmals waren verwirrte Senioren aus dem Altenheim geflüchtet und durch die Straßen spaziert. Einzig ein Fall sorgte mehrere Wochen für Gesprächsstoff: Eine Frau hatte ihrem Ehemann gesagt, sie gehe einkaufen, und wurde nie mehr gesehen. Aufrufe der Kripo und des Gatten brachten keinen Erfolg. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war die Frau allerdings vierunddreißig Jahre alt – und konnte damit nicht die Unbekannte im Feld sein.
Auf dem Nachhauseweg machte Baltasar einen Umweg über die Metzgerei, die frischen Leberkäs im Angebot hatte. Er mochte die saftigen Stücke, besonders das Scherzl, eingezwickt in eine Semmel und bestrichen mit süßem Senf. Leberkäs galt als Grundnahrungsmittel in der Gegend, ein niederbayerischer Döner gewissermaßen, obwohl der Name irreführend war. Denn mit Leber hatte das Ganze angeblich nichts zu tun, sondern mit dem altdeutschen Begriff Lab. Die armen Menschen außerhalb des Freistaates mussten ihren Leberkäse laut Lebensmittelgesetz trotzdem mit einem Leberanteil essen. Nur die Bayern, dieses auserwählte Volk, verputzten ihn ohne Innereien-Beigabe. Und Käse war natürlich auch nicht drin, sondern Rind- und Schweinefleisch und allerhand mehr, was ein echter Niederbayer gar nicht wissen will.
Das Erscheinen des Pfarrers löste Gerede bei den übrigen Kunden aus, schließlich hatte sich sein Fund und das Auftauchen der Kriminalbeamten längst herumgesprochen. Die Menschen gierten nach neuem Klatsch, um die eigenen Spekulationen nach Herzenslust zu befeuern. Baltasar kam die Aufmerksamkeit ganz gelegen, möglicherweise ließ sich auf diesem Weg mehr über die Tote herausfinden. Er schilderte, wie er das Skelett ausgegraben hatte, verschwieg dabei Sebastian und den Rosenkranz, und malte die Szene entsprechend gruselig aus, damit die Anhänger von Schauergeschichten auf
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