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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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und dabei bin ich auf den Knochen gestoßen. Ich hab mir gedacht, den nehm ich mit, wer weiß, vielleicht kann ich ihn noch brauchen. Ich wusst doch nicht, dass das ein Menschenknochen ist, wusst ich nicht, wirklich, Sie müssen mir das glauben, Herr Pfarrer. Später hab ich noch ein wenig weitergegraben, mit den Händen, ich hatte ja kein Werkzeug, aber da war nix mehr.«
    Baltasar hielt die Erklärung des Jungen für plausibel. Die starken Regenfälle der vergangenen Tage hatten wohl die Erde weggespült und den Rosenkranz freigelegt. Vermutlich gehörte der Kieferrest zu dem Menschen, der bei den Totenbrettern beerdigt worden war. Es war das Beste, den Knochen an dieser Stelle zu bestatten und die Totenruhe wiederherzustellen. Doch welche der beiden Tafeln war der richtige Ort für die Bestattung?
    5
    B altasar betrachtete das Knochenfragment gegen das Licht. Es war ein seltsames Gefühl, Überreste eines Toten in der Hand zu halten, berührend und ein wenig gruselig. Er hatte nie verstehen können, wie Bestatter oder Totengräber die Abgebrühtheit aufbrachten, mit den sterblichen Hüllen umzugehen, als wären sie Müllsäcke. Wer mochte dieser Mensch gewesen sein? Wie hatte er gelebt, wie war er gestorben? Ein Teil eines Unterkiefers als Symbol einer vergangenen Existenz. Baltasar war sich unsicher, wie er weiter vorgehen sollte. Am einfachsten wäre es, den Knochen bei den Totenbrettern zu bestatten. Aber irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, die Sache auf diese Weise zu erledigen. Schließlich stand ein Schicksal dahinter, der Verstorbene hatte ein Anrecht auf würdevolle Behandlung. Deshalb war es naheliegend zu versuchen, den Toten zu identifizieren, um ihn der richtigen Gedenktafel zuordnen zu können und ihm einen Namen zu geben.
    Ein Hausarzt konnte wohl nicht weiterhelfen, deshalb entschloss sich Baltasar, den Fund ins Krankenhaus in Freyung zu bringen. Er telefonierte mit der Zentrale, und es dauerte, bis ihm ein Sachbearbeiter riet, einfach vorbeizukommen und auf eine Gelegenheit zu warten, um mit einem Arzt zu sprechen, schließlich sei montags immer viel los. Der zweite Anruf galt seinem Freund Philipp Vallerot, einem Privatier mit französischen Wurzeln, der von seinem Vermögen lebte und nur zum Zeitvertreib arbeitete, wenn er etwa kostenlos Nachhilfeunterricht gab. Offiziell bezeichnete er sich als Sicherheitsberater, aber niemand im Ort wusste, Baltasar eingeschlossen, wer seine Kunden waren und ob es überhaupt Kunden gab. Das Schlimmste aber, eine unverzeihliche Sünde, zumindest in den Augen der Einheimischen: Vallerot war Atheist, der sich mit seiner Meinung über Gott und die Welt nicht zurückhielt.
    Baltasar schreckte das nicht. Er lieh sich Vallerots Auto für die Fahrt nach Freyung, denn ein eigenes Fahrzeug wollte die Diözese nicht zur Verfügung stellen, und er selbst sparte das Geld lieber für Gemeindeprojekte, das Budget war knapp bemessen. Das Krankenhaus war ein Bau mit dem Charme eines Betonbunkers, Baltasar probierte es bei der Notaufnahme.
    »Wo fehlt’s Ihnen?« Die Krankenschwester blickte nur kurz von ihren Unterlagen auf. »Haben’s Ihre Karte dabei?«
    »Ich suche einen Arzt, der mir bei einem speziellen Problem helfen kann.« Die Frau erwiderte sein Lächeln nicht.
    »Die Prostata vermutlich, da brauchn’s einen Urologen. Haben Sie Schwierigkeiten beim Harnlassen oder mit der Potenz?«
    »Ich habe was dabei, das ich von einem Doktor begutachten lassen möchte.«
    »Sagen’s doch gleich, dass Sie Ihre Urinprobe abgeben wollen. Wo ham’s denn des Becherl?« Sie streckte die Hand aus.
    Er nahm das Kieferfragment aus der Tasche und drückte es ihr ohne Kommentar in die Hand. Sie zuckte zurück. »Was soll das? Was ist das?«
    »Genau dafür brauche ich die Meinung eines Fachmanns. Es ist ein menschlicher Knochen.«
    Die Krankenschwester hatte ihre Fassung wiedergewonnen. »Was glauben Sie denn, wo wir hier sind? Im archäologischen Museum? Schaun’s da drüben«, sie deutete auf die Reihe der wartenden Patienten, »jeder braucht schnell einen Arzt. Und da kommen Sie mir mit Ihrem Hobby? Als Nächstes zeigen Sie mir vielleicht noch Ihren Mammutknochen. Wo samma denn? Schaun’s, dass Sie sich wieder schleichen.«
    Baltasar versuchte es nochmals mit seiner Bitte, aber die Frau beachtete ihn nicht weiter, wedelte mit ihrer Akte und rief: »Der Nächste bitte!«
    Er versuchte es im ersten Stock im Schwesternzimmer. Diesmal trug er das Fundstück sichtbar vor sich her.

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