Strafbataillon 999
sogar vom Heiraten gesprochen, aber Julia hatte den begründeten Verdacht, daß er desgleichen öfter sagte. Nun ja, vielleicht hätte sie ihn heiraten können, aber sie war nicht bereit, mit einem Mann zu leben, der bewundernd hinter jedem Paar hübscher Mädchenbeine herblickte. Dann lernte sie Ernst kennen, und danach gab es keine Frage mehr, ob sie ›Franzi‹, wie sie ihn alle nannten, doch noch nehmen sollte.
»Ich brauch' was von dir«, sagte sie, »du kannst mir bestimmt helfen.«
Der junge Arzt hakte sie unter und zog sie den Gang entlang. »Du weißt, Mädchen, daß du von mir alles haben kannst. Komm, gehen wir in meine Bude, ich habe jetzt ein bißchen frei, wir können ein Glas Schnaps trinken und von alten Zeiten reden. Es war doch schön, oder?«
»Sehr«, sagte Julia.
Sein künstliches Bein schlug hart gegen den glänzenden Fußbodenbelag, und Julia dachte einen kurzen Augenblick daran, wie schwer es diesem jungen, gesunden Menschen, Hansdampf in allen Gassen, sportbegeisterten Schwerenöter doch sein mußte mit seinem Gebrechen – trotz aller zur Schau getragenen Unbekümmertheit und Wurstigkeit. Aber dann dachte sie wieder an das, was sie von ihm haben wollte, und daran, ob es ihr gelingen würde, es auch zu bekommen.
Trotz Überfüllung der Charité hatte es Dr. Wissek fertiggebracht, eine kleine Kammer im obersten Geschoß für sich zu bekommen, obwohl er eine hübsche Villenwohnung in Berlin-Dahlem hatte. »Hin und wieder braucht man eine Schmollecke – bei den ekligen Chefs«, sagte er, als er mit Julia im Aufzug nach oben fuhr. »Außerdem muß man ab und zu in Ruhe meditieren können …« Allerdings war es in der Klinik allgemein bekannt, daß er gar nicht so selten zu zweit meditierte.
Oben angelangt, bot er Julia den einzigen Stuhl an, setzte sich selbst auf das einfache Feldbett und holte aus einem Schränkchen eine Flasche Kognak und zwei Wassergläser. »So läßt sich's leichter reden«, lächelte er Julia an, während er einschenkte; und genauso wie früher, konnte sie auch in diesem Augenblick verstehen, daß es wenige Frauen gab, die diesem netten Windhund widerstehen konnten.
Sie tranken, und er schenkte gleich wieder ein.
»Nicht doch, oder willst du unbedingt ein Saufgelage veranstalten?« fragte sie. Der Kognak wärmte sie und überzog ihr Gesicht mit einer leichten Röte.
»Hübsch bist du – viel hübscher noch als damals«, sagte er leise, während er sie bewundernd anblickte.
»Laß uns über ernste Sachen sprechen«, sagte sie abweisend – aber es tat ihr wohl, daß er es gesagt hatte, es tat ihr gut, hier zu sitzen und mit ihm Kognak zu trinken – auch wenn es aus einem Wasserglas war, aus dem schon weiß Gott wie viele vor ihr Kognak getrunken hatten.
»Schieß los, was gibt's?«
»Du weißt, daß sich Ernst mit Aktinomyzessarten beschäftigte, mit Strahlenpilzen … Er war schon ziemlich weit, als diese – diese …«
»Schweinerei passierte. Sprich's ruhig aus«, sagte der Arzt kurz.
»Ja. Wir hatten zu wenig Zeit, um die Versuchsreihe zu beenden. Aber wir waren überzeugt, auf dem richtigen Wege zu sein.«
»Wie ich Ernst kenne … wird es wahrscheinlich stimmen.«
»Kurz – wir hätten noch ein bißchen Zeit haben sollen, dann wären wir soweit, es mit Streptokokken, Staphylokokken, vielleicht auch mit Typhuserregern aufzunehmen. Es ist eine ganz neue Sache – es ist uns gelungen, einen Stoff zu isolieren, der in kürzester Zeit diese Mikroben tötet, sie einfach verschwinden läßt, du hättest das sehen müssen …« Sie hatte sich in Erregung geredet, der Arzt beugte sich gespannt vor, sprang dann auf und sagte:
»Moment mal, was hast du gesagt, einen Stoff abgesondert, der diese Biester einfach verschwinden läßt … aus Strahlenpilzen?«
»Ja.«
»Weißt du auch, was du da sagst?«
»Natürlich weiß ich das!«
»Aber das ist ja – das ist ja großartig! Wenn das wirklich stimmt, Mädchen, das ist ja mehr als großartig! Wenn du wüßtest, wie schwer wir es mit diesen alten, eiternden, jauchenden Wunden haben … na … warte einmal, ich muß mich zusammennehmen, erzähl weiter!«
Er setzte sich wieder, trank seinen Kognak in einem Zug aus und schenkte sich gleich wieder ein.
»Du kennst mich – jedenfalls gut genug, um zu wissen, daß ich nie etwas zuviel gesagt habe …«, sagte Julia.
»Das stimmt. Viel zu wenig«, grinste der Arzt.
»Bleib bitte ernst. Also wir haben diesen Stoff isoliert, und dann machte Ernst einen
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