Strafbataillon 999
und sich auch sonst bemerkbar machte, auch Schwanecke sorgte für Abwechslung.
Das zweite und das dritte Verhör durch Oberleutnant Obermeier waren genauso ergebnislos verlaufen wie das erste. Schwanecke leugnete, irgend etwas mit Beverns Tod zu tun zu haben. Er machte es sehr geschickt und überzeugte Obermeier beinahe, daß alle Verdächtigungen gegen ihn gegenstandslos seien. So sagte er zum Beispiel: »Klar, ich hab ' manchmal daran gedacht, den Herrn Oberleutnant … Sie verstehen schon. Aber welcher Rekrut tut das nicht? Und sagen Sie mir, Herr Oberleutnant, welcher Landser hat solche Gedanken nicht, wenn ein Vorgesetzter … na ja, Sie wissen schon! Aber das zu tun? Um Gottes willen! Und Sie sagen selbst, das Ganze soll sehr gut vorbereitet gewesen sein. Ach, du liebe Zeit, und wann hätt' ich die Zeit, das vorzubereiten? Zuerst lag ich hier im Lazarett, und dann mußte ich Wache schieben … wie sollte ich wissen, wann Herr Oberleutnant zur Inspektion und daß er ausgerechnet zu mir kommen würde? Es war genau, wie ich es erzählt habe. Ich sagte: ›Da drüben sind Scharfschützen, da muß man aufpassen!‹ Und der Herr Oberleutnant sagte: ›Haben Sie etwa Angst, Sie Scheißkerl?‹ Und guckte 'rüber, und da hat's schon geknallt. Genauso war's!«
Obermeier gab das Protokoll der Verhöre mit dem Bericht Dr. Hansens an Hauptmann Barth weiter und sprach selbst mit ihm über das Telefon, das ausnahmsweise einmal intakt war.
»Es sind doch alles Vermutungen …«, sagte Barth. »Sie können dem Kerl ja nichts beweisen. Niemand hat irgend etwas gesehen …«
»Was soll ich mit ihm machen? Festsetzen?«
»Nein, warum?«
»Er könnte immerhin …«
»Sie meinen – fliehen? Wohin soll er gehen? Zu den Partisanen? Er weiß ganz genau, daß die keine Gefangenen machen. Und über die HKL wird er kaum kommen. Nein, nein, halten Sie ihn in greifbarer Nähe. Irgendwo beim Stab, er ist ja recht brauchbar. Und lassen Sie ihn nicht fühlen, daß Sie weiterhin Verdacht gegen ihn haben, damit er nicht kopfscheu wird. Ach – was ich noch fragen wollte … warum bemühen Sie sich eigentlich so sehr um die Aufklärung des angeblichen Mordes? Wenn ich mich nicht irre, mochten Sie Bevern nie so recht.«
»Es geht ums Prinzip, Herr Hauptmann.«
»Mein lieber Junge, Sie werden an einem Ihrer Prinzipien noch einmal ersticken. Lassen Sie sich das gesagt sein von einem, der es wissen muß …«
So kam es, daß Schwanecke in Barssdowka blieb und beim Stab Dienst machte. Doch allen, die ihn von früher her kannten, fiel sein verändertes Wesen auf. Er war noch mürrischer und verschlossener geworden, und seine Antworten auf neugierige Fragen bestanden meist aus Flüchen. Er schien keine Ruhe zu finden und gönnte sich kaum Schlaf. Wie ein gefangenes Raubtier strich er, wenn er nur konnte, um Barssdowka herum. Er wanderte ruhelos durch den Schnee, die Straße nach Babinitschi hinab, die Straße nach Gorki oder nach Orscha …
Er suchte Tartuchin.
Über Bevern machte er sich keine Gedanken. Die Sache war für ihn erledigt. Für ihn – aber nicht für die anderen. Und er wußte nicht, daß zwischen Orscha und dem Stammlager in Posen, zwischen Posen und Frankfurt/Oder und wieder zurück Schriftstücke, Meldungen und Telefongespräche gewechselt wurden, die sich mit ihm befaßten, mit ihm und Oberleutnant Bevern. Man hatte zwar keine Beweise für Schwaneckes Schuld, aber man kannte sein Vorleben. Und selbst wenn sein Vorleben weiß wie neugefallener Schnee gewesen wäre, so war er verdächtig. Und verdächtig sein konnte zu jener Zeit nicht nur den Soldaten eines Bewährungsbataillons den Kopf kosten.
Für Deutschmann kam wieder der Tag, an dem er von Stabsarzt Dr. Bergen nach Orscha geschickt wurde.
»Sie kennen ja diesen Apotheker«, sagte der Arzt, als er Deutschmann eine lange Liste in die Hand drückte. »Wenn Sie nur ein Viertel von diesem Zeug mitbringen, das ich hier aufgeschrieben habe, dann sind wir glücklich.«
Je näher der Schlitten Orscha und dem Dnjepr kam, um so unruhiger wurde Deutschmann. Er wußte, daß er Zeit genug haben würde, Tanja wiederzusehen. Er würde sie im Schlaf überraschen, wie das letztemal … er würde neben ihrem Lager knien und ihren Kopf zwischen seine Hände nehmen, und dann würde er wieder jenseits der Vergangenheit und der Gegenwart sein, auch jenseits jeglicher Erinnerung: An Julia, an Berlin, an Dr. Ernst Deutschmann aus Dahlem, an das Leben, aus dem man ihn herausgerissen
Weitere Kostenlose Bücher