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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Aussehen eines Todkranken bekam. Mit übermenschlicher Energie zwang er sich, den Brief Satz für Satz, Wort für Wort zu Ende zu lesen. Und als er fertig war, glättete er den Bogen sorgfältig auf den Knien, faltete ihn langsam zusammen, steckte ihn zurück in den Umschlag und schob ihn in die Tasche. Dann saß er noch eine ganze Weile da: Zusammengesunken, unnatürlich ruhig, ein Mann, den eine schreckliche Wahrheit, die schlimmer war als der Tod, unter sich begraben hatte: ein Mann, der sich plötzlich entblößt und erbärmlich selbst sah, ein Mann, der sich sagen mußte, daß er um eines kurzen Abenteuers willen sein ganzes bisheriges Leben verraten und weggeworfen hatte. Und was noch schlimmer war: Ein Mann, der plötzlich erkennen mußte, daß ein Mensch für ihn das Höchste geopfert hatte, was es zu opfern geben konnte, während er selber nicht wert war, daß man ihn ansah. Und als wollte er seine Qualen noch vergrößern, wiederholte er in Gedanken immer wieder: Sie hat es getan, während ich sie verraten habe.
    An diesem gleichen Morgen stand Karl Schwanecke vor Oberleutnant Obermeier.
    Er stand sehr stramm da, die Hände an der Hosennaht, das Kinn heruntergezogen, das Kreuz hohl, die Brust heraus. Ein Mann wie aus einer Dienstvorschrift! So steht der deutsche Soldat still.
    »Sie haben Post bekommen, Schwanecke.«
    Über Schwaneckes Gesicht zog ein ungläubiges Staunen.
    »Post, Herr Oberleutnant? Ich habe noch nie Post bekommen.«
    »Doch.«
    »Dann ist es sicher nichts Gutes, Herr Oberleutnant.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Wie kann ich schon etwas Gutes bekommen … ich meine … wenn ich einen Brief bekomme …« Er stockte, machte mit der Hand eine hilflose Gebärde und legte sie dann wieder an die Hosennaht.
    »Was ist dann? Erwarten Sie etwas Unangenehmes?«
    »Nein … das heißt … meine Mutter, in Hamburg, Herr Oberleutnant, verstehen Sie? Jeden Tag Luftangriffe … aber sie hat mir bis jetzt noch nie geschrieben, von ihr kann es nicht sein … Irgendwer wird mir geschrieben haben, daß sie, ich meine, die Mutter … schließlich ist sie ja meine Mutter, auch wenn … verstehen Sie?« Er hob wieder den Blick, sah in die erstaunten Augen des Oberleutnants und begann zu grinsen. Aber sein Lachen ließ ihn noch hilfloser und verwirrter erscheinen.
    »Nein, das verstehen Sie nicht, Herr Oberleutnant«, sagte er. »Meine Mutter sagte immer zu mir: ›Ich habe keinen Sohn mehr. Du bist ein Lump, ein Verbrecher.‹ So ist das bei uns, Herr Oberleutnant. Man wächst auf wie eine Ratte – bis man abgeschossen wird wie eine Ratte. So ist das, Herr Oberleutnant.«
    »Ihre Mutter hat Ihnen geschrieben«, sagte Obermeier mit trockener Kehle.
    »Meine Mutter?« Schwanecke streckte die Hand vor und riß sie sogleich wieder zurück. »Mutter?« wiederholte er. Und jetzt sah Obermeier etwas, was er nie geglaubt hätte, wenn es ihm ein anderer erzählen würde: Über Schwaneckes hartes, verschlossenes Gesicht zog ein weiches, warmes Lächeln, und aus seinen sonst leblosen, zwei Glaskugeln ähnlichen Augen leuchtete mit einem Male kindliche Freude. »Stimmt das, Herr Oberleutnant? Nehmen Sie mich nicht auf den Arm …? Entschuldigen Sie, Herr Oberleutnant, aber …« Mit seiner schweren, klobigen Hand fuhr er sich schnell über das Gesicht, als wollte er irgend etwas Störendes wegwischen.
    »Es stimmt. Hier«, sagte Obermeier und nahm den Brief vom Tisch hinter sich. Ein einfaches blaues Kuvert, darauf eine große, ungelenke Schrift. Schwanecke wischte sich die Hand an der Hose ab und streckte sie zögernd aus. »Na, los, nehmen Sie schon!« sagte Oberleutnant Obermeier. »Gehen Sie jetzt, und lesen Sie den Brief in Ruhe!«
    Schwanecke ging hinüber zu der großen Scheune und setzte sich auf sein Bett. Kronenberg und Krüll, die ihn beobachteten, wie er den Brief sinnend in der Hand hielt, schlenderten näher.
    »Briefchen von Liesl, Anni, Gretchen – oder von wem?« fragte Kronenberg.
    »Von der Mutti!« grinste Krüll.
    Schwanecke fuhr hoch. »Haut ab!«
    »He, Sie – Sie haben immer noch nicht gelernt, wie Sie sich zu benehmen haben, wenn Sie mit einem Vorgesetzten sprechen!« sagte Krüll.
    »Jawohl!« sagte Schwanecke leise und stand langsam auf. Krüll sah in seine Augen und entfernte sich wieder.
    »Du auch!« sagte Schwanecke zu Kronenberg sehr ruhig und wartete, bis auch dieser ging. Dann setzte er sich wieder und riß den Umschlag mit dem Fingernagel langsam und behutsam auf.
    Nach fünf

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