Strasse der Sterne
musst nur noch einschlagen! In wenigen Wochen, Jona, können wir so weit sein. Das neue Stampfwerk ist großartig. Kein Vergleich mit dem plumpen Mörser der Spanier!« Schon als er es aussprach, wusste er, dass er das falsche Wort gesagt hatte.
Er erkannte es, weil Jona sich abwandte.
»Simon, nicht wahr?«, sagte Heinrich betroffen. »Tut mir Leid, ich wollte keine alten Wunden aufreißen!«
»Und es ist Spharadim, an das ich meinen Bruder für immer verloren habe.« Jona begann zu zwinkern. »Dabei kann ich ihm nicht einmal vorwerfen, dass er nach Leon gegangen ist. Kaum ein Handwerk, das uns noch offen steht, kaum ein Handelszweig, in dem wir ungestört operieren können! Was haben wir Juden im Reich zu erwarten nach all dem Schrecklichen, das hier geschehen ist?«
»Der Kaiser hat sich ausdrücklich zu seinen Juden bekannt«, widersprach Heinrich. »Friedrich hat seinen eigenen Sohn mit der Untersuchung der verachtungswürdigen Vorfälle beauftragt.«
»Heinrich, ich weiß, wie du denkst und handelst. Aber du solltest den Tatsachen ins Auge sehen - jetzt erst recht. Offiziell heißen wir Kammerknechte des Kaisers, in Wirklichkeit aber sind wir nichts anderes als seine Sklaven, mit denen er nach Gutdünken verfährt.«
»Es ist auch für uns christliche Kaufleute erheblich schwerer geworden, seit die Mongolen Kiew erobert haben.« Heinrich wog einen Stapel Blätter nachdenklich in der Hand. »Damit ist der gesamte Osthandel zum Erliegen gekommen. All die wunderbaren Dinge, die wir dort früher für günstiges Geld bekommen haben - Pelze, Zinn, Wachs, Edelmetalle! Wie mühsam ist es heute, neue Handelszweige zu beleben. Weißt du, Jona, manchmal beneide ich deinen Bruder regelrecht, dass er im warmen Westen sitzt und nicht mehr herumreisen muss!«
»Beneide ihn nicht!« Jona hatte seine Stimme erhoben. »Auch wenn die Juden in Spanien nicht um ihr Leben fürchten müssen und er neben dem Geldverleih noch seinen Handel mit Gewürzen und seltenen Arzneipflanzen betreiben darf. Du haderst mit Gott, Heinrich, weil dein schönes Kind sein Augenlicht verloren hat - aber mein Bruder muss viel Schlimmeres ertragen.« Er senkte die Stimme. »Simon hat sein Kind für immer verloren.«
Beinahe wären dem Kaufmann die Bögen aus der Hand gerutscht. Simons Ehe mit Riwka war zum großen Kummer beider lange ohne Nachkommen geblieben. So hatten sie in León vor achtzehn Jahren ein neugeborenes Mädchen an Kindes statt angenommen, genau zu der Zeit, als Heinrich in derselben Stadt Rena kennen gelernt hatte. Seitdem schien ihm das Schicksal der kleinen Familie mit seinem eigenen eng verknüpft.
»Esther - ist tot?«
»Fortgelaufen ist sie«, sagte Jona traurig. »Schon vor drei Jahren, als Simon sie einem rechtschaffenen Mann zur Frau geben wollte. Am Tag der Verlobung war Esther spurlos verschwunden. Seitdem haben sie nichts mehr von ihr gehört. Riwka ist krank vor Sorge. Simon hat Angst, dass sie nie wieder gesund wird.«
»Kein Brief? Keine Nachricht - gar nichts?«
»Ein Rabbi will sie im letzten Jahr im Süden gesehen haben, wo sie angeblich mit fahrendem Volk auf dem Markt von Cordoba aufgetreten sein soll. Simons Tochter inmitten von Jongleuren und Gauklern - kannst du dir das vorstellen?« Heinrich dachte an den frommen Mann mit den ernsten Augen und schüttelte den Kopf. »Und sie ist und bleibt seine Tochter, auch wenn sie nicht aus dem Schoß seiner Frau gekommen ist!«
»Welch schrecklicher Schlag für deinen Bruder!« »Das ist es. Aber wie sagt der Prophet Zecharja? >Nicht durch Stärke und Macht, sondern durch den Geist leben wir.< Und an anderer Stelle steht geschrieben: >Einer, der lernt, ist eine Wegkreuzung<. Solange wir also atmen, können wir hoffen - das war und ist meine Devise. Und jetzt zeig mir mal den Bogen!«
*
Alle am Tisch waren schweigsam nach dem üppigen Essen, Heinrich Weltenpurger, Magda, Pilar sowie die Gäste Albin und Martin Löbel. Sogar Pater Rabanus, der sonst immer gern und viel redete, schien vor seinem Weinbecher leicht zusammengesunken.
»Die Köchin hätte nicht so am Beifuß sparen sollen«, sagte Magda seufzend, als schließlich noch eine Platte mit Printenmännern und Schmalzgebackenen Martinsküchlein aufgetragen wurde. Martin Löbel nahm sich eine Hand voll, während alle anderen ablehnten. »Dann wäre uns das fette Fleisch besser bekommen. Nächstes Mal wird sie tun, was ich anordne. Sonst kann sie ihr Bündel schnüren.«
»Hat dich ja keiner gezwungen, deinen
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