Strasse der Sterne
anführen könnte, wie es Menschen gibt. Einige brechen auf, weil sie ein Gelübde geschworen oder einen heiligen Eid geleistet haben. Andere, weil sie für ein Verbrechen sühnen wollen oder müssen. Wieder andere, weil ihnen die Heimat zu eng geworden ist. Manche vielleicht vor allem aus Neugierde und Abenteuerlust.« Sein Ausdruck veränderte sich. »Vielleicht spielt es gar keine Rolle. Vielleicht genügt es schon, dorthin unterwegs zu sein. Du hast dir meinen Namen doch gemerkt?«
»Natürlich«, sagte sie gekränkt. Hielt er sie doch für ein dummes Kind? »Du heißt Camino.«
Ein seltsamer Name, wie Lucia fand. Aber selbst wenn er gewollt hätte, er hätte ihr keinen anderen nennen können, denn er hatte alle Titel, Namen und Besitztümer längst hinter sich gelassen.
»Richtig«, sagte er. »Und wie du weißt, mein kluges Mädchen, bedeutet Camino >der Weg<.«
*
Regensburg, Februar 1246
Pilar ahnte, dass etwas in der Luft lag, noch bevor Martin den Mund richtig aufmachte. Er war allein bei ihnen erschienen, ohne seinen Vater Albin.
Sie schob den Teller zurück, der noch halb voll war.
»Schmeckt dir meine Bärlauchsuppe nicht?«, fragte Mag- da sofort. »Das ist das Gesündeste, was die Jahreszeit hergibt. Ich muss dafür sorgen, dass nicht nur wir, sondern vor allem mein Kleines bekommt, was es braucht.«
Sie versteckte ihre Schwangerschaft nicht länger, sondern stellte ihren wachsenden Bauch überall mit trotzigem Stolz zur Schau. Seit die Mühle auf dem Wöhrd in Flammen aufgegangen war und das einstmals so prächtige Handelshaus in der Wahlenstraße nur noch seinen verkohlten Dachstuhl in den Himmel reckte, bewohnte sie mit Pilar ein kleines Anwesen hinter der Grieb, das der Weltenpurger vor einigen Jahren als Geldanlage erworben hatte. Die Räume waren eng und niedrig, reichten Magda aber offenbar, um sich endlich als Herrin aufzuspielen.
Vom Papiermachen wollte sie nichts wissen und schnitt jedes Gespräch, das Pilar darüber anfing, schnell wieder ab. Es gab andere Pläne, die sie zielstrebig verfolgte. Sie hatte Wenzel Hirtz beauftragt, das Geschäft in bescheidenem Umfang wieder aufzunehmen, den meisten Gesellen gekündigt und nur einen Lehrling behalten. Tatkräftig scheute sie nicht davor zurück, die Handelsherren um Hilfe anzugehen. Zandt erklärte sich schließlich bereit, sie zu unterstützen, selbstredend zu seinen Bedingungen. In ein paar Wochen sollte ein neuer Tuchtransport die Stadt verlassen. Magda betete insgeheim, er würde mit klingenden Silbertalern und neuen Waren zurückkehren, wenn es Sommer wurde. »Das Leben geht weiter«, sagte sie. »Allein schon der Kinder wegen muss ich an die Zukunft denken.«
Seltsamerweise war sie davon überzeugt, dass es ein Sohn werden würde, der einmal das Lebenswerk des Vaters weiterführen sollte. Magda war bereit, alles dafür zu tun. Eine sparsame Lebensweise gehörte in ihren Augen dazu. Zunächst hatte Magda außer zwei Mägden nur Balbina mitnehmen wollen, dann aber doch nicht gewagt, sich dagegen zu sperren, als Pilar auf der Anwesenheit Tariqs bestanden hatte.
»Jetzt will ich aber wissen, was du auf dem Herzen hast, Martin«, verlangte Pilar. »Raus damit!«
»Ich werde dich doch nicht heiraten können«, sagte er leise. »Der Vater hat seine Einwilligung zurückgezogen. Aber wenn du willst, können wir auch so zusammen sein.« Martin griff nach ihrer Hand, Pilar jedoch entzog sie ihm. »Ich kaufe ein kleines Haus und will es dir niemals an etwas fehlen lassen, das verspreche ich. Und wenn Kinder kommen ...«
Magda wollte aufstehen.
»Bleib!« Pilar packte ihren Arm. »Es schadet nichts, wenn du dieses ehrenwerte Angebot mit anhörst. Denn meine Antwort ist ebenfalls für deine Ohren bestimmt.«
Sie wandte sich zu Martin.
»Nein, ich werde dich nicht heiraten. Und deine Kebse kann ich auch nicht werden. Ich hätte es dir längst sagen sollen. Aber nun bist du mir zuvorgekommen.«
»Du weist mich zurück?« Er klang fassungslos.
»Ach, das darfst nur du?« Pilars Ton gewann an Schärfe. »Weil es plötzlich eine schwangere Kaufmannswitwe gibt und die Blinde damit eine nicht mehr ganz so lohnende Partie ist?«
»Pilar, ich wollte ...«
»Ich kann nicht mit dir leben, denn ich verspüre einen Hunger, den du nicht stillen kannst, und einen Durst, den du niemals löschen wirst.« Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, als er stumm blieb. »Siehst du, du verstehst mich nicht! Das ist es, was ich meine.«
»Willst du
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