Strasse der Sterne
nach kurzer Zeit die Augen. Er legte die Axt beiseite, packte die Scheite und ging langsam zum Haus, bestrebt, in die eigenen Fußstapfen zu treten, um sich den Rückweg durch den kniehohen Schnee leichter zu machen.
Das trübe Licht in der Rauchküche brachte Milderung. An der Herdstelle rührte Alba summend in dem Topf, in dem die Kohlsuppe für das Abendessen brodelte. Der Geruch ließ ihn würgen, obwohl er an einfache Kost gewohnt war. Was hätte er jetzt anstelle der Käsenudeln, die es wie fast immer dazu gab, für frisches Gemüse gegeben, jahrelang eine Selbstverständlichkeit auf seinem Speiseplan! Sogar Wild oder Lamm, das er früher nie besonders gemocht hatte, erschien ihm inzwischen sehr verlockend. Aber die Schlachtzeit lag hier oben lange zurück, und weder der ranzige Speck, noch die dürren Streifen Trockenfleisch, vom Nonno eifersüchtig rationiert, waren dazu angetan, seine Gelüste zu stillen.
Alba hob nicht den Kopf, als er an ihr vorbeiging, aber ihr Summen verstummte abrupt und er spürte, wie ihr Rücken steif wurde. Viel zu lange schon ging das so, und er war nicht der Einzige im Haus, der es bemerkte. Manchmal kam er sich vor wie in einem Netz, das sich immer enger um ihn zog. Wie gerne wäre er schon jetzt aufgebrochen! Doch nur in seinen Träumen hörte er das verheißungsvolle Tropfen, das den Frühling ankündigte. Es würde noch Wochen dauern, bevor der Weg über den Gotthardpass frei war und er weiterziehen konnte.
Als sein Schiff vor Monaten in Genua anlegte, hatte er sich unverzüglich nordwärts gewandt. Allerdings hatte er unterwegs sein Tempo reduziert, unvorsichtigerweise, wie er inzwischen wusste. Zu lang hatte er den Fischern zugesehen, die stehend in ihren länglichen Kähnen Forellen und Petersfische fingen. Das milde Herbstklima an den großen Seen hatte ihn zu dieser Langsamkeit verführt, und die verschwenderische Pracht der alpinen Vegetation. Nahezu ein halbes Menschenleben hatte er im Heiligen Land und auf Zypern verbracht. Palmen, Zitronenbäume und Oliven - von denen hatte er dort mehr als genug gehabt. Es waren die Obstbäume, die bunt verfärbten Buchen- und Eichenwälder, an denen er sich kaum satt sehen konnte, die allmählich in Lärchen- und Fichtenbestand übergingen, als er höher stieg.
Auf einmal stand der heimatliche Wald wieder vor ihm, die Nebelbänke am frühen Morgen, vom Rhein aufsteigend, die weiten, grünen Hügel, die allen Träumen offen standen. Das Kläffen der Hunde. Das Lachen und Kreischen der Brüder, die reiten lernten, kaum dass sie laufen konnten, weil es die einzige Möglichkeit war, sich so schnell wie möglich von zu Hause zu entfernen.
Blasse Haut und ernste, graue Augen.
Ein strenger Mann, rasch aufbrausend und dann wieder schweigsam, der sich immer mehr in sich zurückzuziehen schien, je länger der Tod seiner geliebten Frau zurücklag. Der Graf hatte seine heranwachsenden Söhne oft gezüchtigt, manchmal mit Grund, aber oft genug auch ohne. Die Brüder, geboren im Abstand von zwei Wintern, liebten ihn trotzdem, aber mehr noch fürchteten sie ihn. Für den Vater gab es keine Fragen, sondern nur unbedingten Gehorsam, der ihm, dem Jüngsten der drei Söhne, von allen christlichen Tugenden am schwersten gefallen war. Erst viel später lernte er, welches Bollwerk der Gehorsam gegen die innere Verlorenheit sein konnte, aber da hatte er längst seine einzige Liebe verloren - und seine Seele dazu, wie er inzwischen befürchtete.
Vielleicht war er zu sehr mit seinen vergessen geglaubten Kinderjahren beschäftigt gewesen. Vielleicht aber war ihm diese Berglandschaft hier auch einfach nur fremd, die hinter ihrer vordergründigen Milde rau und unbarmherzig war. Jähes Erstaunen packte ihn, als er in der Morgendämmerung in einer Sennhütte erwachte und es plötzlich so kalt war, dass er befürchtete, am Boden festzufrieren. Es wurde besser, als er rasch ausschritt und allmählich wieder Wärme und Lebendigkeit in den Gliedern spürte.
Bellinzona, die nächste Station auf seinem Weg hinauf in die Berge, versteckte sich hinter klobigen Mauern, so abweisend wie die Festungen, die er im Heiligen Land kennen gelernt hatte, und angesichts der Burg, die wie ein feindlicher Herrscher über den Häusern thronte, erschien ihm der weitere Aufstieg nach Biasca als willkommene Herausforderung. Dort angelangt, fand er den Himmel anthrazitgrau und die Dächer bereits weiß bestäubt, aber es trieb ihn dennoch voran. So war er in dichtem
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