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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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anzutatschen. Und dass einer der Diener, ein junger Kerl mit dunklen Augen, kaum noch aß, weil er statt- dessen sie mit den Augen verschlang. Alles war ihr nur noch lästig. Sie wünschte sich einen Zaubermantel, um sich unsichtbar zu machen, und sandte ein paar Worte der Entschuldigung an die alte Laila, der sie so übel mitgespielt hatte.
    Das alles kann mir nichts anhaben, sagte sie sich, wenn durch die dünne Wand abermals die Stimmen der Streitenden drangen. Sobald ich sie loswerden kann, ziehe ich allein weiter. Nach Puente la Reina, wo der Pilgerweg beginnt. Dort wartet mein Glück auf mich.
    Am anderen Morgen aber, wenn sie zerschlagen erwachte, wusste Estrella, dass sie sich etwas vormachte. Bis Soria, wo die beiden sich neu ansiedeln wollten, war es noch weit. Sie hörte die Stille rauschen, und ihre Augen schmerzten vom Licht. Und manchmal überfiel sie eine bleierne Angst, niemals an ihrem Ziel anzukommen.
     
    *
     
    Moissac, Juni 1246
     
    Der Novize, der Pilar, Tariq und Camino in die Pilgerherberge führte, war ungewöhnlich gesprächig.
    »Habt ihr euch in der Stadt schon umgesehen?«, fragte er neugierig. »Viele loben ihre Schönheit. Dabei hat Moissac seine alte Blüte nie mehr erreicht, seit das Kreuzfahrerheer hier durchgezogen ist. Es gab kein Erbarmen, obwohl die Stadt ihre Ketzer restlos ausgeliefert hatte. Das hat die christlichen Ritter nicht daran gehindert, alles zu zerstören und in Brand zu setzen. Sogar unser Kreuzgang wurde ein Raub der Flammen. Aber Baumeister und Steinmetze sind dabei, alles wieder herzustellen.«
    Nicht einmal der Anflug eines Bartes auf seinen rundlichen Wangen. Er konnte höchstens siebzehn sein und was damals passiert war, allenfalls vom Hörensagen kennen. Eifrig deutete der Novize auf die schmalen Betten, die in Reih und Glied standen.
    »Ist doch besser, als auf dem Boden zu schlafen wie Gewürm«, sagte er. Ein scheuer Blick in Richtung Pilar. »Am besten nehmt ihr das Mädchen in die Mitte. Es soll Pilger geben, die nachts alles vergessen, worum sie tagsüber zu Gott beten.« Ein hastiges Kreuzzeichen.
    »Was hat er mit den Ketzern gemeint?«, fragte Pilar später beim gemeinsamen Essen. Im Kloster St. Pierre war den Pilgern das Betreten des Refektoriums verwehrt. Sie hatten deshalb nach einem Wirtshaus Ausschau gehalten, um ihren Hunger zu stillen. Das Cassoulet aus weißen Bohnen und Knoblauchwurst, das die Wirtin ihnen auftischte, schmeckte vorzüglich, wenngleich es unverschämt teuer war.
    »Warum fragst du?« Camino legte den Löffel beiseite. Tariq bekam seinen aufmerksamen Blick.
    »Weil sie in Regensburg meine Mutter auch als Ketzerin beschimpft haben«, sagte sie. »Allen voran der Mann, der beinahe mein Schwiegervater geworden wäre.« Jetzt errötete sie leicht. »Er hat sogar behauptet, sie sei mit dem Teufel im Bund. Aber natürlich weiß ich, dass das unmöglich ist.« Es schien sie große Überwindung zu kosten, weiterzusprechen, aber sie tat es.
    »Ich hab auch schon von den Katharern gehört. Ich weiß nur nicht mehr, wann. Und von wem.«
    »Sie nennen sich selbst die >Reinen<, sagte Camino erklärend, »denn sie sind davon überzeugt, dass ihr Weg zu Gott der richtige ist. Es gab viele von ihnen, sehr viele sogar. Aber das ist schon Jahre her. Es war ihnen nicht vergönnt, in Ruhe und Frieden zu leben, denn der Papst hat sie verflucht und gebannt.«
    »Was ist mit ihnen geschehen?«, fragte Pilar.
    »Die, die nicht bereit waren, abzuschwören, sind für ihren Glauben gestorben.« Tariq wurde immer unruhiger. »Man hat sie verurteilt und verbrannt - es müssen Tausende gewesen sein, allein in dieser Region.«
    »Alle?«, flüsterte Pilar. »Ohne Ausnahme?«
    »Es gibt immer Ausnahmen«, sagte Camino. »Kein Netz ist so dicht, dass sich nicht irgendwo ein Loch finden ließe.«
    Pilar senkte den Kopf.
    »Dann ist meine Mutter eine von ihnen?«, sagte sie leise. »Ist sie das?«
    »Ja«, erwiderten Camino und Tariq im gleichen Atemzug.
    Verdutzt starrten sie sich an.
    »Und lebt sie? Gab es für sie ein Loch im Netz?«, fuhr Pilar atemlos fort.
    »Kein einziger Tag, an dem ich nicht darum gebetet hätte«, sagte Camino. »Seit mehr als achtzehn Jahren.«
    »Sie lebt. Ich weiß es«, sagte Tariq. »Die Herrin lebt.«
    Pilar drehte sich erst zu ihm, dann zu Camino. Sie ballte die Fäuste.
    »Ich glaube, ihr habt mir eine ganze Menge zu erzählen«, sagte sie. »Alle beide.«
     
    *
     
    Aix-sur-l'Adour, Juni 1246
     
    Das Schnattern der Gans

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