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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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erfüllt hatte: seine Fußfesseln, die geöffnet im feuchten Gras lagen.

 
VERMÄCHTNIS 5
DAS NETZ
      
     
    León, Sommer 1227
     
    »Er geht.« Diegos Stimme war scharf. »Ich will ihn nicht länger in meinem Haus haben.«
    »Es ist auch mein Haus. Unser Vater hat in seinem Testament verfügt, dass es uns beiden zu gleichen Teilen gehört. Bislang habe ich niemals davon Gebrauch gemacht. Aber jetzt tue ich es. Tariq bleibt!«
    »Ein maurischer Diener! Hast du vor, die Schwarzkutten mit aller Macht auf uns aufmerksam zu machen?«
    »Das besorgst du ganz allein. Wir hatten beschlossen, keine Versammlung abzuhalten, bis die Lage sich weiter beruhigt hat. Und was tust du? Du berufst trotzdem eine ein.«
    »Die Gemeinde muss endlich den Segen des neuen Perfectus erhalten«, sagte Diego. Das nervöse Spiel seiner Finger verriet, wie sehr ihn diese Unterredung erregte. »Das geistliche Wohl ist wichtiger als das körperliche. So lautet die Lehre.«
    »Aber Toten nützt auch der beste Perfectus nichts mehr. Ist dir unser aller Leben so wenig wert?«
    Das erste Mal, dass wir uns so stritten!
    Aber ich hatte den mageren Mauren binnen kurzem lieb gewonnen. Tariq war ein erstaunlicher Junge: scheu auf den ersten Blick, dabei klug, nachdenklich und von großer Tiefe, wenn man sich näher mit ihm beschäftigte. In seinen Augen fand ich eine Wärme, die ich bislang in diesen Wänden vermisst hatte. Ich empfand ihn eher als Freund denn als Diener. Außerdem brauchte ich dringend einen Verbündeten. Aber ich hütete mich, das ausgerechnet meinem Bruder zu verraten.
    Wütend trat Diego einen Schritt auf mich zu.
    »Du widersetzt dich, Blanca?«
    »Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan - hast du das schon vergessen?«, entgegnete ich ruhig. »Ich halte mich an die Worte Jesu. Deshalb werde ich diesen Jungen nicht dem Zorn seiner Vettern ausliefern.«
    Er ließ mich ohne ein weiteres Wort stehen.
    Ich hörte die Haustür ins Schloss fallen. Diego würde die Angelegenheit mit Roger besprechen, so wie er nahezu alles mit ihm besprach. Die beiden waren inzwischen unzertrennlich. Viele Abende, an denen sie sich zu langen Gesprächen zurückzogen. Für mich blieb nur Angelita, aufdringlich und unangenehm wie eh und je.
    Alles schien bleiern. Zum Stillstand gekommen.
    Consuelo wagte ich kaum noch zu besuchen. Deshalb sah ich Oswald nur selten. Obwohl ich ihn schmerzlich vermisste, war ich auch erleichtert. Denn das Kind in mir wuchs - und eine Lösung war noch immer nicht in Sicht.
    Meine Stimmungen waren heftigsten Schwankungen ausgesetzt. Manchmal hoffte ich, einfach aufzuwachen wie nach einem schweren Traum. Dann aber spürte ich diese zarten Bewegungen in mir, und grenzenlose Liebe zu dem Ungeborenen durchflutete mich.
    Aufmerksam erkundete ich meinen Körper.
    Jetzt bedauerte ich, dass Diego den großen Silberspiegel meiner Mutter auf den Speicher verbannt hatte, wo er inzwischen matt und fleckig geworden war. Aber ich sah und spürte auch so, wie sehr ich mich veränderte. Meine Brüste wuchsen. Ich hatte ein Kännchen Öl aus der Küche gestohlen. War ich nachts allein, rieb ich meinen Bauch damit ein. Die Schnüre an meinen Kleidern hatte ich schon gelockert und würde sie bald verlängern müssen.
    Ich war ständig hungrig.
    Die kargen Portionen, die bei uns auf den Tisch kamen, reichten bei weitem nicht mehr aus, um mich satt zu machen. Vor allem überfiel mich eine nie zuvor gekannte Gier nach Fleisch. Was hätte ich für einen Braten gegeben oder ein Stück Leber! Manchmal fühlte ich mich versucht, heimlich über Renas Futter herzufallen. Dann jedoch ließ mich der Anblick der rohen Brocken würgen, und ich stopfte stattdessen altes Brot in mich hinein, bis mein Magen endlich schwieg.
    Der Ring mit dem grünen Stein war mein Tröster in der Not, mein Rettungsanker, wenn der Mut mich verlassen wollte. Ihn legte ich jedes Mal an, bevor ich im Mondlicht die Blätter hervorholte und niederschrieb, was mir auf der Seele lag.
    Beides versteckte ich sorgfältig. Bislang schien Diego keine Ahnung zu haben, was ich vor ihm verbarg. Aber manchmal, wenn ich nach Beendigung meiner Aufzeichnungen am Fenster stand, auf die schlafende Stadt schaute und den frischen Wind spürte, der schon den Herbst ankündigte, überfiel mich eine wilde Lust, alles laut herauszuschreien.
    Doch ich blieb still. Ich ging in mein Bett, schlüpfte unter die Decke und legte die Hände schützend über meinen Bauch.
    Nur ein

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