Strasse der Sterne
Mönch, der ihm öffnete, war feist und mürrisch.
»Was willst du?«, herrschte er ihn an.
»Ich bin ein Pilger«, begann Armando, »und möchte ...«
»Eine Nacht«, sagte der Mönch. »Und eine Mahlzeit. Dann machst du dich wieder auf den Weg.« Er trat einen
Schritt zurück und ließ ihn eintreten. »Geschlafen wird im Dormitorium.« Seine Stimme wurde eine Spur freundlicher. »Und wickle dich fest ein. Die Nächte hier sind noch immer eisig.«
Wenig später, als er mit den Mönchen im Refektorium an langen Tischen saß, stellte er fest, dass er der einzige Gast war. Die Lesung des heutigen Tages war ein Abschnitt aus den Psalmen:
»Gott, du mein Gott, dich ich suche, und meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser...«
Armandos Gedanken glitten ab, hin zu dem Mann, der am Kopf der ersten Tafel saß, Silos, vor dem ihn der Abt des Klosters Leyre gewarnt hatte. Ein schmales Gesicht mit tief liegenden Augen unter schwarzen Brauen. Auch ihn hatten sie gestreift, jetzt jedoch schien der Abt ganz in sich versunken.
Er erhob sich, kaum dass die Lesung vorüber war, und den Mitbrüdern, die gerne weiter gegessen hätten, blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls aufzustehen. Bevor er den Speisesaal verlassen konnte, lief Armando zu ihm.
»Ich muss dich sprechen«, sagte er. »Es ist wichtig.«
Ein Nicken.
»Ich kann das Kloster morgen nicht verlassen.« Er hatte Mühe, diesem Blick standzuhalten. Etwas Kaltes kroch in ihm hoch, ließ ihn klamm und ängstlich werden.
»Weshalb?« Der Widerwille war unüberhörbar. »Bist du krank, Bruder?«
»Nicht am Leib, aber an der Seele.« Es war, als hätten ihn Sor Angelitas beschützende Hände gestreift. Und plötzlich wusste Armando, was er sagen musste. Er würde sich ihre Geschichte ausleihen! Die Worte strömten über seine Lippen. »Ich bin nicht wert, dass du mich Bruder nennst, Vater. Denn ich habe etwas Schreckliches getan und große Schuld auf mich geladen. Mit dieser Schuld kann ich nicht weiterpilgern.«
»Begehrst du zu beichten und zu büßen? Dann folge mir zum Beichtstuhl!«
»Das werde ich«, sagte Armando schnell, denn für den Abt schien die Unterredung damit beendet. Ohne nachzudenken fiel er vor ihm auf die Knie. Von unten betrachtet, wirkte das finstere Gesicht noch abweisender. »Aber nicht heute. Ich bin noch nicht so weit. Erlaube mir, die Zeit der Einkehr in eurer Abgeschiedenheit zu verbringen!«
Der Kniefall schien den Abt berührt zu haben. Schließlich glitt der schwache Abglanz eines Lächelns über sein Gesicht.
»Unser größter Feind sind wir selbst«, sagte er. »Aber mit Jesus ist der Schmerz voller Freude und das Dunkel voller Licht. Du magst bleiben. Du hast dich während deines Aufenthalts unseren Regeln zu beugen. Bist du bereit?«
»Ich bin bereit.«
Erneut wandte der Abt sich ab, um abermals innezuhalten.
»Demut ist es, wonach du strebst? Wenn man nicht nur mit dem Mund erklärt, man sei geringer als alle anderen, sondern auch mit dem Herzen, dann ist Demut erreicht. Deshalb wirst du in Schweigsamkeit verharren, um dich nicht weiter in der Sünde zu verfangen. Ist deine Einkehr abgeschlossen, so lass es mich wissen. Dann nehme ich dir die Beichte ab.«
Welch kluger Schachzug Silos' - so lebte Armando unter ihnen und war dennoch von allen abgeschnitten!
Stille senkte sich auf den jungen Bruder wie ein bleiernes Gewicht. Niemand richtete das Wort an ihn, und er konnte mit keinem der Brüder sprechen, nicht eine einzige Frage stellen. Stumm wie ein Fisch musste er die Messen durchstehen, ohne ein einziges Mal seine Stimme zum Lob des Herrn erklingen zu lassen.
Bald schon lag ihm die Zunge fremd im Mund. Sein Schlund schien sich zu verengen, und wenn er auf seinem
Strohlager im Dormitorium lag, übertönte das Plätschern am anderen Ende die vielfältigen Schlafgeräusche. Dort tropfte Wasser aus einer Quelle. Dort lag Nacht für Nacht ein anderer büßender Mönch, der sich schweigend und ohne Murren dieser Folter beugte.
Je stiller es um ihn wurde, desto turbulenter ging es in seinem Inneren zu. Manchmal wurden die inneren Stimmen so laut, dass er sie kaum noch ertragen konnte. Dann half es, wenn er nach draußen ging. Seit er Sor Angelita verlassen hatte, war es, als sei ein Schleier von der Landschaft gezogen. Mit allen Sinnen nahm er auf, wogegen er sich bislang gesperrt hatte - ihre Schönheit, ihre Klarheit, ihre Heilkraft.
Er spürte sie mit seinem
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