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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schreckte Moira aus ihrem kurzen Schlummer auf. Sie rieb sich die Augen und erblickte die mageren Waden eines kleines Mädchens, das sie mit einem Stock zum Wasser trieb. Ihre Zöpfe waren braun, nicht blond, und auch ihre Gesichtszüge wiesen keine Ähnlichkeit mit denen Maries auf, dennoch stach es plötzlich in ihrer Brust, dass sie kaum noch atmen konnte.
    Als der Schmerz langsam nachließ, war die Kleine verschwunden. Moira sah an sich hinunter und rümpfte die Nase. Sie hatte sich verkommen lassen wie eine Bettlerin! Ihr Kleid war starr vor Schmutz, die Stiefel waren mit Lehm bespritzt. Sogar ihr Haar war verfilzt. Sie war froh, dass sie außerhalb des kleinen Ortes Rast gemacht hatten. Hans war schon wieder auf Betteltour; erfahrungsgemäß konnte es dauern, bis er zurückkam.
    Sie nahm ihre Sachen und wanderte ein Stück am Bach entlang, bis sie bei zwei steinernen Becken angelangt war. In einem wurde seit langem Wäsche gewaschen; sie sah es an den Riffelungen im Stein, in denen sich Reste von Seife abgesetzt hatten. Das andere, größere, schien ihr einladend genug für ein Bad. Sie streifte ihre Kleider ab und ließ sich hineingleiten. Das Wasser war frisch im ersten Augenblick; ihre Brustspitzen zogen sich fröstelnd zusammen. Mary, die das Wasser liebte, hatte ihr schon als Kind Schwimmen beigebracht, aber jetzt ließ sie sich faul auf dem Rücken treiben. Wenn ihr Fuß das Becken berührte, spürte sie die glitschige Kühle des Steins.
    Frauenbrüste. Frauenbecken. Frauenbeine.
    Sie war klein und schlank, und dennoch war es kein Mädchenkörper mehr, der aus dem grünlichen Wasser herausschimmerte. Gero hatte sich von ihr abgewandt. Aber es gab Männer, die sie als Frau begehren würden, wenn sie erst einmal mit sich selber im Reinen war.
    Moira holte Luft und tauchte unter.
    Später, als sie ihre Kleider auf der Wiese zum Trocknen ausgebreitet hatte, schlurfte Hans heran. Im Vergleich zu ihrem neuen, sauberen Zustand stank er noch erbärmlicher als sonst, und plötzlich wusste Moira, was sie zu tun hatte.
    »Wir werden uns trennen«, sagte sie. »Morgen. Dann wandere ich wieder alleine weiter.
    »Weshalb? Hab ich dir irgendetwas getan?«
    »Nein.« Sie lächelte. »Es ist nicht gegen dich. Es ist für mich.«
    Er brummte Unverständliches.
    »Wirst noch bereuen, dass du mich zum Teufel jagst«, sagte er. »Sind doch ein sauberes Paar, wir zwei!«
    »Das kann schon sein. Aber mein Entschluss steht fest. Streng dich also nicht an. Du wirst mich nicht umstimmen.«
    »Hätt dir zum Abschied gern noch meine Geschichte erzählt«, sagte er schließlich.
    »Dafür hast du den ganzen Abend Zeit.«
    Hans hielt ihr seine Kalebasse hin. »Dann musst du aber mit mir trinken«, sagte er. »Wenigstens dieses eine Mal.«
    Der Wein war dunkel und stark. Sie merkte es schon nach den ersten Schlucken. Aber er drängte ihr immer mehr davon auf, während er sich in Schilderungen über einen Jungen verlor, der immer seinen kleinen Bruder beneidet hatte und ihn irgendwann in den Brunnen stieß, weil er doch nie wie er werden konnte.
    »Dort liegt er noch heute«, sagte Hans. »Wenn ihn die Würmer nicht schon gefressen haben. Seitdem trag ich diese Eisen am Fuß. Und werde sie weiter tragen bis zum seligen ...«
    Seine Stimme schien leiser zu werden. Irgendwann begannen die Bäume der kleinen Lichtung bedenklich zu schwanken.
    »Ich glaube, ich bin betrunken.« Moira kicherte. »Alles geht drüber und drunter. Ich muss mich hinlegen.«
    Der Schlaf kam schnell, wie ein sprungbereites Tier.
    Sie erwachte mit pochendem Schädel und einem pelzigen Gefühl im Mund. Gestern noch war sie blitzsauber gewesen. Dieser Gedanke kroch wie ein träger Wurm durch die endlosen Gänge ihres Gedächtnisses. Heute stank sie wie ein ausgeweidetes Tier.
    Es tat weh, die Augen zu öffnen.
    Eine Anstrengung, den widerlichen braunen Stoff wegzustoßen, der auf ihr lag. Ihre Beine zitterten, als sie endlich aufrecht stand.
    Erst nach und nach drang in ihr Bewusstsein, was geschehen sein musste, und es dauerte, bis sie bereit war, es wirklich zu begreifen.
    Ihr Pilgerbruder hatte sie ausgeraubt. Ihr Umhang war verschwunden, ebenso wie ihr Stab, ihre Tasche und die Stiefel. Der Münzbeutel aus ihrem Gürtel fehlte. Und das Messer war fort. Jede Bettlerin war reich gegen sie. Moira hatte nur noch, was sie am Leibe trug - und seinen schäbigen, schmutzstarrenden Mantel.
    Dafür hatte Hans ihr ein anderes Andenken überlassen, das seinen Zweck offenbar

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