Straße der Toten
noch ’ne Stunde länger warten, könnten Sie sich damit den Magen verderben.«
»Klingt appetitlich, aber ich gehe vielleicht doch lieber zu Miss Mary.«
»Die kocht Suppe aus Wurzeln und wilden Pflanzen und so. Aber egal, was sie zusammenrührt, es schmeckt alles gleich, und man kriegt die Scheißerei davon. Eine Schönheit ist sie nicht grad, aber sie verkauft auch noch sich selbst, wenn Sie da Lust drauf haben.«
»Nein, nicht nötig. Dann nehme ich doch lieber das Pferdefleisch. Aber nur, wenn ich bei der Zubereitung zuschauen darf.«
»Geht in Ordnung. Ich bin fast fertig mit Schnitzen.«
»Was schnitzen Sie denn da?«
»Nix Bestimmtes, ich schnitze einfach nur zum Spaß.«
»Und womit sind Sie dann fast fertig?«
»Na, mit dem Spaß. Ich schnitze eben einfach gern.«
Der alte Sheriff hieß Jud. Er nannte seinen Namen, als würde er damit ein dunkles Geheimnis verraten. Aus der Nähe sah Jud noch übler aus. Die Poren in seinem Gesicht waren so groß und tief, dass sich Wasser darin sammeln konnte, und seine Nase war so oft gebrochen worden, dass sie hin- und herwackelte, während er redete. Er hatte nicht mehr viele Zähne, und die verbliebenen waren von Tabak und Fäulnis braun verfärbt. Seine Handflächen waren schmutzig und die Finger sogar noch schmutziger, wenn das überhaupt möglich war, und der Reverend fragte sich, in was diese Finger wohl herumgestochert hatten.
Im Haus fehlten Dielen, und die Wände standen schief. An einem Ende des Zimmers stand ein Herd, den man mit Holz befeuern konnte. Ein Ofenrohr wand sich aus dem Herd und durch ein Loch in der Decke nach draußen. Regen hatte sich einen Weg durch das Loch gebahnt, und der Herd war zum Teil verrostet. Er stand schwer auf dem abgenutzten, durchhängenden Fußboden, der so aussah, als würde schon eine einzige verrottete Faser oder ein Termitenbiss genügen, und der Herd würde durchbrechen. An Wandhaken hingen Pferdefleischstücke, die mit Fliegen bedeckt waren. Einige Stücke waren grün, und auf vielen wuchs eine dicke Schimmelschicht.
»Ist das das Fleisch, von dem Sie geredet haben?«
»So isses«, antwortete Jud und kratzte an seinem vor Dreck starrenden Kropfsack.
»Sieht ziemlich grün aus.«
»Hab doch gesagt, es ist kurz vorm Umkippen. Wollen Sie es nun oder nicht?«
»Kann ich es selbst zubereiten?«
»Bezahlen müssen Sie trotzdem.«
»Wie viel verlangen Sie?«
»Zwei Bits.«
»Zwei Bits für ranziges Fleisch, das ich selbst zubereite?«
»Für zwei Bits würd ich’s Ihnen auch selber braten.«
»Sie sind ganz schön geschäftstüchtig, Jud.«
»Ja, ich bilde mir was ein auf meinen Geschäftssinn.«
»Auf Ihren Sinn für Hygiene können Sie sich jedenfalls nichts einbilden.«
»Was soll das heißen? Soll das etwa irgend ’ne dumme Bemerkung sein?«
Reverend Mercer schob seinen langen schwarzen Mantel zurück, sodass die Griffe seiner beiden Revolver zu sehen waren. »Hin und wieder muss ein Mann Dinge schlucken, die ihm ansonsten eigentlich zuwider sind.«
Jud starrte auf die Revolver und sagte: »Da haben Sie wohl recht, Reverend. Ich hab gedacht, Sie sind nur so ’n Bibelschwätzer, aber Sie tragen diese Waffen wie ’n Mann, der im Leben schon alles gesehn hat.«
»Das habe ich. Und noch mehr.«
Der Reverend bürstete die Fliegen vom Pferdefleisch, fand ein Stück, das besser aussah als der Rest, und schnitt es sich mit dem Taschenmesser ab. Er klaubte die Insekten aus einer schmierigen Pfanne und warf das Fleisch hinein, dann bestückte er den Herd mit Holz und machte ein Feuer. Bald brutzelte das Fleisch in der Pfanne. Er beschloss, es gut durchzubraten und sogar etwas anbrennen zu lassen. Vielleicht würde er die Mahlzeit dann überleben.
»Haben Sie noch irgendwas, um mir unser Geschäft zu versüßen?«, fragte der Reverend.
»Nichts außer dem Pferdefleisch.«
»Und mit was machen Sie Geschäfte, wenn alles Fleisch verdorben ist oder aufgebraucht?«
»Ich hab noch mehr alte Pferde, und ein altes Maultier. Eins von denen wird wohl als Nächstes dran glauben müssen.«
»Haben Sie mal darüber nachgedacht, etwas anzubauen?«
»Meine Hände sind nicht dazu gemacht, ’ne Hacke zu schwingen. Wenn alles nix hilft, schieß ich mir ’n Eichhörnchen, ein Opossum oder ’n Waschbär. Hund schmeckt auch nicht schlecht, wenn man ihn lang genug kocht.«
»Wie viele Menschen leben eigentlich hier im Ort?«
»Um die vierzig. Einundvierzig, wenn Sie Norville da draußen im Knast mitzählen. Aber
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