Straße der Toten
er uns nach Texas gebracht, hat vorher noch unsere Hütte angesteckt, und zwar mitsamt unsrer Mama drin, und seitdem bin ich hier in Texas, meistens irgendwo in der Mitte des Bundesstaats. Vor ’nem Jahr oder so ist er dann gestorben, und dann hat meine Schwester ’nen schlimmen Husten gekriegt und hat sich zu Tode gehustet. Da musste ich dann alleine zurechtkommen.«
»Das ist eigentlich ganz normal in Ihrem Alter, finde ich. Wie alt sind Sie denn? Dreißig?«
»Sechsundzwanzig. Ich bin nur ziemlich fertig. Jedenfalls bin ich durchs Land gezogen und hab mir Eichhörnchen und so geschossen und bin dann im Wald über diese verlassene Hütte gestolpert. Ich hab sie nur durch Zufall entdeckt, denn da führt kein richtiger Weg hin. Die Hütte stand einfach mitten im Wald, es war ein gutes Dach drauf und ein Brunnen dabei. Ich hab gerufen, um zu sehen, ob da jemand wohnt, aber da war niemand. Die Tür stand offen, und drin konnte man sehen, dass da schon lang niemand mehr wohnte. Die müssen einfach weggegangen sein. Es war ein schönes Häuschen mit richtigen Glasfenstern. Wer das gebaut hat, hat sich viel Mühe gegeben, denn es war alles sehr solide. Es gab sogar einen kleinen Garten, wegen dem ein paar Bäume gefällt worden waren.
Ich bin geblieben und habe da nicht schlecht gelebt. Als ich mir den Brunnen näher angeschaut hab, war der ganz mit Steinen und so gefüllt, und man kam nicht an das Wasser ran. Aber ganz in der Nähe gab’s einen kleinen Bach mit einer Quelle. Es gab auch genug Tiere zum Jagen, und ich hab mir ein kleines Beet mit Rüben und so angelegt.«
»Ich hätte gedacht, Sie hätten für immer genug von irgendwelchen Rüben.«
»Ich hab die Suppe von meiner Ma immer gern gegessen. Ich kann mich noch an den Geschmack erinnern. Pa hatte keinen Grund, ihr so was anzutun nur wegen einer Suppe.«
»Da sind wir uns wohl einig.«
»Wie auch immer, das Fleckchen war einfach ideal. Ich hab dann angefangen, den Brunnen wieder freizulegen, jeden Tag ein paar Steine. Zum Wasserholen bin ich immer zum Bach hinter dem Haus gegangen. Aber der Brunnen war einfach näher, und der Rand ist solide aus Steinen gebaut. Ich hab eben gedacht, es wär schön, wenn ich das Wasser nicht mehr so weit schleppen müsste.
Damals hab ich dann auch Wood Tick entdeckt. Da gibt es nicht viel, wie Sie ja selber gesehen haben. Aber etwas Schönes gab es dort, und das wusste auch jeder Mann im ganzen Ort und wollte es für sich haben. Sissy, eine von Marys Töchtern. Die Einzige, von der sie wusste, wer der Vater war. Das war ein fahrender Händler auf der Durchreise gewesen, von dem ihre Mutter sechs Meter Wolle und fünf Minuten im Hinterzimmer bekommen hatte.
In Wood Tick gab’s für mich keine Konkurrenz, was Sissy anging. In dem Ort leben die hässlichsten Männer, die irgendwer je gesehn hat, und die Hälfte von denen hat ’nen Kropf oder so was. Sissy war fünfzehn, und ich war bloß fünf Jahre älter, also hab ich sie umworben.«
»Aber sie war doch noch ein Kind.«
»Nicht in dieser Gegend. Ist nix Besonderes, wenn ein Mann ein junges Mädchen heiratet, und Sissy war voll entwickelt.«
»Körperlich oder geistig?«
»Beides. Jedenfalls haben wir geheiratet. Na ja, wir haben eben beschlossen, dass wir verheiratet sind, und sie ist zu mir in die Hütte gezogen.«
»Und Sie hatten keine Ahnung, wer die Hütte gebaut hat oder wem sie gehörte?«
»Sissy wusste darüber Bescheid und hat mir alles erzählt. Dass da früher eine alte Frau gelebt hat. Sie hat die Hütte nicht gebaut, ist aber da gestorben. Dann ist eine Familie auf das Stück Land gezogen, hat sich da einfach niedergelassen, doch nach einem Monat war sie wieder verschwunden – alle außer der jüngsten Tochter, die hat man gefunden, wie sie die Straße entlanglief und nur noch mit sich selber geredet hat. Hat immer so Sachen vor sich hin gesagt wie: ›Es schleicht sich an‹ oder ›Es saugt und saugt‹, so Zeug eben. Das Mädchen ist bei Mary geblieben, die hat sie versorgt und gepflegt, aber ihr war nicht mehr zu helfen. Sie ist gestorben. Es heißt, dass sie aussah, als wäre sie in den paar Tagen vor ihrem Tod um fünfzig Jahre gealtert.
Daraufhin sind die Leute zu der Hütte gegangen, haben aber nichts Auffälliges gefunden, außer dass neben dem Brunnen lauter große Steine rumlagen. Danach ist eine andere Familie da eingezogen. Die sind von Zeit zu Zeit in den Ort gekommen, aber eines Tages nicht mehr. Sie sind einfach verschwunden.
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