Straße der Toten
erkennen. Doch die Tapete sah an einer Stelle dunkel und fleckig aus, und Jebidiah hatte das Gefühl, dass sein Kumpel da oben war, ein Teil des Schattens, ein Teil der Tapete.
Er blieb stehen und drehte den Kopf wie ein neugieriger Hund hin und her. Der Fleck an der Wand bewegte sich und wurde größer. Es war der große Wolf, der es auf gut zweieinhalb Meter brachte. Bei jedem seiner Schritte klackerten seine Krallen über den Boden. Leicht vorgebeugt blieb er auf der obersten Stufe stehen.
»Kannst es einfach nicht erwarten, was?«, sagte Jebidiah. »Du bist viel zu ungeduldig.«
Die Ohren des Königswolfs zuckten, er streckte die Zunge heraus und leckte sich die Schnauze.
»Noch kannst du mich nicht schmecken«, sagte Jebidiah.
Der Wolf beugte sich vor und stürzte die Treppe herab auf Jebidiah zu. Jebidiahs Revolver krachten, jeder einmal, dann hatte der Wolf ihn erreicht, und gemeinsam fielen sie rückwärts die Treppe runter. Sie landeten direkt vor der letzten Stufe.
Der Prediger sah auf. Dort, wo die Kugeln den Wolf getroffen hatten, stieg Rauch aus der Wunde, und der Wolf lag still da, sodass Jebidiah sich die Kreatur in aller Ruhe ansehen konnte. Er war nicht wie die anderen. Er war nicht nur größer, sondern wirkte auch sonderbar gelassen, was bei Jebidiah angesichts des Grauens, das ihn umgab, das Gefühl auslöste, er stünde Satan selbst gegenüber.
Und im Unterschied zu den anderen hatten die Kugeln ihn zwar verletzt, aber töten konnten sie den Königswolf nicht. Jebidiah rappelte sich auf und ging rückwärts zur Tür, die Revolver hoch erhoben. Sein Rücken schmerzte, und seine Rippen schienen in Flammen zu stehen. Bis jetzt war er aus einem Fenster gefallen und eine Treppe hinuntergestoßen worden und konnte trotzdem noch gehen, also war er ziemlich gut dran, fand er, und die ganzen Werwölfe hatte er auch überlebt.
Als er auf der Straße stand, erschien die Gestalt des Königswolfes in der Tür des Gentleman’s Hotel. Er hatte sich auf die Hinterbeine aufgerichtet, und seine Hoden und sein Schwanz schwangen bei jeder Bewegung hin und her, als gehörten sie zu einer Pendeluhr. Er duckte sich unter der Tür hindurch und trat auf die Straße hinaus. Von seinen Zähnen trieften seildicke Sabberfäden.
»Jetzt sind wohl nur noch wir zwei übrig, was, Mister Wolf? Ich kenne deinen Boss. Alle beide. Einer oben, der andere unten. Von beiden habe ich nicht die beste Meinung.«
Der Königswolf stürzte auf seinen Hinterbeinen von der Hotelveranda auf die Straße. Jebidiah feuerte zwei Schüsse mit seinen Revolvern ab, und obwohl er traf, blieb die Bestie nicht stehen.
Jebidiah nahm die Beine in die Hand. Ihm taten sämtliche Muskeln weh, doch die Angst vor dem, was ihm vielleicht bevorstand, war stärker als der Schmerz. Er rannte. Er rannte schnell. Fast hatte er die umgestürzte Postkutsche erreicht, als er sich umdrehte und sah, wie der Königswolf rasch aufholte. Er konnte seinen heißen Atem im Nacken spüren.
Jebidiah sprang auf die Kutsche und ließ sich durch das offene Fenster hineinfallen. Der Kopf des Königswolfs erschien in der Öffnung, und er stieß ein wildes Heulen aus, das Jebidiahs gepeinigte Eingeweide noch mehr quälte.
Jebidiah drückte ab. Mit beiden Revolvern. Zweimal.
Der Königswolf taumelte nach hinten. Jebidiah lud schnell nach, aber er hatte erst einen Revolver mit drei Kugeln bestückt, als der Wolf sich wieder erhob. Jebidiah verpasste ihm eine Kugel mitten in die Stirn. Aus dem Loch stieg Rauch auf, doch dem Wolf machte das anscheinend nichts aus; er streckte einen Arm in die Kutsche, packte Jebidiah am Fußgelenk und zog ihn durch die Fensteröffnung nach draußen. Jebidiah schlug mit dem Kopf an das Holz und ließ einen seiner Revolver fallen.
Der Königswolf hielt Jebidiah mit einer Hand in die Höhe und zog ihn zu sich heran. Ganz langsam. Kostete seinen Triumph aus. Öffnete ganz weit das Maul.
Jebidiah riss den Revolver hoch, den er mit beiden Händen umklammerte, und feuerte seine letzte Kugel in das offene Maul der Bestie.
Das Maul des Königswolfs klappte wieder zu, und aus den Nasenlöchern stieg Rauch auf. Er trat einen Schritt zurück und öffnete sein Maul so weit, dass Jebidiah die Kieferknochen knacken hörte. Dann ließ er Jebidiah fallen. Der Reverend landete auf dem Kopf, drehte sich herum, stützte sich auf ein Knie und lud schnell nach. Er war froh, dass er noch mit Eichenholz und Wachs bestückte Kugeln übrig hatte, und weniger froh,
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