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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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In jeder Kleinstadt gibt es eine Tankstelle, ein Lebensmittelgeschäft, einen Getreideheber, einen Laden für landwirtschaftliche Geräte und Düngemittel und etwas so Unglaubliches wie einen Händler für Mikrowellenherde oder eine chemische Reinigung, so dass man sich unterwegs mit der Frage beschäftigen kann, was die Leute in Fungus City wohl mit einer chemischen Reinigung anfangen. Jede vierte oder fünfte Gemeinde ist eine Bezirksstadt. Alle
wurden sie rund um einen Platz angelegt, an dessen einer Seite ein ansehnliches Gerichtsgebäude aus Backstein mit einer Kanone aus dem Bürgerkrieg und einem Denkmal für die Toten von mindestens zwei Kriegen steht, während sich entlang seiner übrigen Seiten ein Geschäft an das andere reiht: ein Billigkaufhaus, eine Imbissstube, zwei Banken, eine Eisenwarenhandlung, eine christliche Buchhandlung, mehrere Friseursalons, ein Herrenfriseur, ein Herrenausstatter mit jener Art Kleidung, wie sie nur in sehr kleinen Provinzstädten getragen wird. Mindestens zwei der Geschäfte heißen Vern’s. In der Mitte des Platzes befindet sich stets ein kleiner Park mit dicken Bäumen, einem Musikpavillon, einem Mast mit der amerikanischen Flagge und mehreren Bänken, auf denen alte Männer mit John-Deere-Mützen sitzen und über die alten Zeiten reden, als sie noch anderes zu tun hatten, als auf Parkbänken zu sitzen und über alte Zeiten zu reden. In diesen Orten scheint die Zeit zu kriechen.
    Die angenehmste Bezirksstadt in Iowa ist Pella, vierzig Meilen südöstlich von Des Moines. Pella wurde von holländischen Immigranten gegründet. So findet denn auch heute noch alljährlich im Mai ein großes Tulpenfest statt, für das man eigens eine so bedeutende Persönlichkeit wie den Bürgermeister von Den Haag einfliegt und ihn ein Loblied auf die Tulpenzwiebeln singen lässt. Als ich klein war, mochte ich Pella, denn viele seiner Bürger hatten kleine Windmühlen in ihren Vorgärten aufgestellt, was das Städtchen irgendwie interessant machte. Ich würde nicht sagen, außerordentlich interessant, doch ich hatte schon in jungen Jahren gelernt, die wenigen Annehmlichkeiten zu schätzen, die mir während einer Reise durch Iowa begegneten. Außerdem befand sich am Stadtrand von Pella eine Filiale von Dairy Queen. Hier hielt mein Vater manchmal an und kaufte uns mit Schokolade überzogene Eiskremtüten. Schon allein deshalb empfand ich immer eine besondere Zuneigung für diesen Ort und war sehr erfreut, in so manchem Vorgarten noch Windmühlen zu entdecken, als ich an diesem schönen Septembermorgen
in Pella ankam. Am Platz im Herzen des Städtchens stieg ich aus, um mir die Beine zu vertreten. Es war Sonntag. Die alten Männer von den Parkbänken hatten also heute frei – sie verbrachten den Tag schlafend vor dem Fernseher –, aber ansonsten erwies sich Pella als ebenso vollkommen, wie ich es in Erinnerung hatte. Der Park strotzte vor Bäumen und Beeten mit Salbei und Ringelblumen in den leuchtendsten Farben. In einem Winkel stand fast maßstabsgetreu eine stattliche, grüne Windmühle mit weißen Flügeln. Die Läden rund um den Platz präsentierten sich in der für Läden im Mittleren Westen typischen Getreidesilobauweise, waren aber mit Lebkuchengesimsen und anderem lustigen Zierrat versehen. Jedes Geschäft hatte einen soliden, Vertrauen erweckenden holländischen Namen: Pardekooper’s Drug Store, Jaarsma Bakery, Van Gorp Insurers, Gosselink’s Christian Book Store, Vander Ploeg Bakery. Natürlich waren alle Läden geschlossen. In Orten wie Pella hält man sich auch heute noch strikt an die Sonntagsruhe. Die ganze Stadt war von einer unheimlichen Stille durchdrungen, einer Art Totenstille, die eine entsprechend überempfindliche Natur zu der Überlegung verleitet, ob vielleicht alle Einwohner des Nachts von einem aus einer undichten Stelle strömenden, geruchlosen Gas vergiftet worden seien, das Pella in so etwas wie das Pompei der Prärie verwandelt habe und sich auch jetzt noch heimtückisch des eigenen zentralen Nervensystems bemächtigen könne. Für einen Augenblick tauchte in mir das Bild von Menschen auf, die von überall her kamen, um sich die Opfer der Katastrophe anzusehen, und von dem jungen Mann auf dem Platz im Herzen der Stadt – der mit der Brille und der besorgten Miene – besonders angetan waren, ihm endgültig den Hals umdrehten und sich an seiner Autotür zu schaffen machten. Doch dann bemerkte ich am entfernteren Ende des Platzes einen Mann, der mit seinem Hund

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