Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Bryson, und ich wollte nur sagen, dass er ein absoluter Mistkerl ist, der armen Pearl das anzutun. Ach, übrigens, Mabel, weißt du, dass diese Stütz-BHs in Columbus Junction einen Dollar billiger sind?« Ungefähr 1962 kam die Telefongesellschaft und installierte im Haus meiner Großmutter – vermutlich auf nachdrücklichen Wunsch der übrigen Bürger von Winfield – ein normales Telefon ohne Gemeinschaftsanschluss. Das riss ein großes Loch in ihr Leben – ein Verlust, von dem sie sich nie wieder ganz erholen sollte.
Ich habe nicht wirklich erwartet, meine Großeltern am Tor wartend vorzufinden, zumal sie beide schon vor vielen Jahren gestorben sind. Doch vermutlich fuhr ich mit der vagen Hoffnung dorthin, dass heute ein anderes liebenswürdiges, altes Ehepaar dort leben und an meinen Erinnerungen Anteil nehmen würde. Vielleicht würden sie mich wie einen Enkel aufnehmen. Zumindest bin ich jedoch davon ausgegangen, dass das Haus meiner Großeltern noch genauso aussehen würde, wie ich es zuletzt gesehen hatte.
Es kam ganz anders. Die Straße zum Haus war noch immer mit leuchtend weißen Gipskieseln bestreut und wirbelte nach wie vor befriedigende Staubwolken auf, doch die Eisenbahnschienen waren verschwunden. Es gab nicht ein Anzeichen dafür, dass sie jemals existiert hatten. Auch die viktorianische Villa war nicht mehr da. An ihrer Stelle stand ein Bungalow, in dessen Garten Autos und Propangasflaschen wie Kinderspielzeug herumstanden.
Weitaus schlimmer war, dass sich die Kuhweide in eine Fertighaussiedlung verwandelt hatte. Früher stand das Haus meiner Großeltern ein gutes Stück außerhalb der Stadt, eine Insel von Bäumen in einem Ozean von Wiesen. Nun wurde es von allen Seiten von kleinen Billighäusern bedrängt. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass die Scheune nicht mehr stand. Irgendein Idiot hatte meine Scheune abgerissen! Und das Haus selbst – eine Bruchbude. Von Farbe war nicht mehr viel zu sehen. Die Sträucher hatte man entwurzelt, die Bäume gefällt. Das Gras stand hoch und war mit Hausabfällen übersät. Ich hielt mitten auf der Straße den Wagen an und starrte mir die Augen aus dem Kopf. Ich kann den Verlust, den ich empfand, nicht beschreiben. Die Hälfte meiner Erinnerungen befand sich in diesem Haus. Kurz darauf erschien eine enorm übergewichtige Frau in pinkfarbenen Shorts in der Tür. Sie sprach in ein Telefon mit einem anscheinend endlosen Kabel und erwiderte erstaunt meinen starrenden Blick.
Ich machte mich auf den Weg in die Stadt. Damals gab es entlang der Main Street von Winfield alles, was man in einer blühenden Kleinstadt erwarten durfte: zwei Lebensmittelgeschäfte, einen Kramladen, eine Kneipe, eine Billardhalle, eine Zeitung, eine Bank, einen Friseur, ein Postamt und zwei Tankstellen. Jeder kaufte hier, was er zum Leben brauchte, und jeder kannte jeden. Von den Läden waren nun nur noch eine Kneipe und ein Geschäft für landwirtschaftliche Geräte übrig geblieben. Dazwischen lagen ein halbes Dutzend leerer, von Gras überwucherter Grundstücke, auf denen man die alten Gebäude abgerissen hatte, ohne sie durch neue zu ersetzen. Die meisten der noch stehenden Häuser wirkten finster und waren mit Brettern vernagelt. Die ganze Szenerie erinnerte an eine vor langer Zeit verlassene und dem Verfall preisgegebene Filmkulisse.
Ich konnte mir nicht erklären, was sich hier abgespielt hatte. Die Leute mussten nun wohl dreißig Meilen fahren, nur um einen Laib Brot zu kaufen. Vor der Kneipe hing eine Gruppe jugendlicher
Motorradrowdies herum. Ich wollte gerade anhalten, um sie zu fragen, was mit ihrer Stadt geschehen sei, da bemerkte mich einer von ihnen und zeigte mir den Finger. Ganz ohne Grund. Er war ungefähr vierzehn. Abrupt gab ich Gas und fuhr zurück in Richtung Highway 78, vorbei an den verstreuten Farmen und den Hügeln, die mir so vertraut waren wie mein eigenes, linkes Bein. Zum ersten Mal in meinem Leben kehrte ich einem Ort den Rücken und wusste, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Es war alles sehr traurig, aber ich hätte es besser wissen müssen. Wie ich immer zu Thomas Wolfe zu sagen pflegte, gibt es drei Dinge im Leben, die unmöglich sind. Es ist unmöglich, aus einem Streit mit der Telefongesellschaft als Sieger hervorzugehen; es ist unmöglich, einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen, solange der einen nicht bemerken will; und es ist unmöglich heimzukehren.
3
Mit einem Gefühl der Leere fuhr ich weiter nach Mount Pleasant, wo ich eine
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