Streng vertraulich
auf.
Ich rief Angie an und sagte ihr, sie solle in zwanzig Minuten fertig sein.
Cheswick rief ich nicht an.
Stattdessen versuchte ich es bei Richie zu Hause, aber er war schon auf der Arbeit. Ich wählte seine Nummer.
»Wieviel weißt du?« wollte er wissen.
»Nicht mehr als ihr.«
»Quatsch. Dein Name taucht doch immer wieder auf, Patrick. Und im State House passieren auch komische Sachen.«
Ich arbeitete mich gerade in mein Hemd und hielt inne, der rechte Arm war noch draußen, ich stand da wie angewurzelt. »Was für komische Sachen?«
»Die Gesetzesvorlage zum Straßenterrorismus.«
»Was ist damit?«
»Über die sollte heute abgestimmt werden. Heute morgen. Damit sich alle rechtzeitig zum vierten Juli noch ins Auto setzen können.«
»Und?«
»Es ist keiner da. Das State House ist leer. Letzte Nacht sind zwölf Jugendliche gewaltsam ums Leben gekommen, und am nächsten Tag, wenn über eine Gesetzesvorlage abgestimmt werden soll, die die ganze Scheiße angeblich eindämmt, haben plötzlich alle das Interesse verloren.«
»Ich muß jetzt los«, warf ich ein.
Das Telefon hätte sich auf Rhode Island befinden können, seine Stimme hätte ich trotzdem gehört: »Was weißt du, verflucht noch mal?«
»Nichts. Muß los.«
»Ich tu dir keinen Gefallen mehr, Patrick. Schluß.«
»Ich liebe es, wenn du mich fertigmachst!« Ich legte auf.
Ich wartete vor der Kirche auf Angie, die mit diesem braunen Teil angefahren kam, das sie Auto nennt. Am Wochenende und im Urlaub braucht Phil es nicht; er deckt sich mit Budweiser ein, fläzt sich in den Fernsehsessel und glotzt alles, was so im Fernsehen läuft. Angie fährt den Wagen so oft wie möglich, damit sie ihre eigenen Kassetten hören kann; außerdem behauptet sie, wenn ich am Steuer des Vobeast sitze, sei ich ein schlechter Autofahrer, weil mir egal sei, was mit ihm passiert. Das stimmt nicht ganz; es ist mir nicht egal, was mit ihm passiert. Ich möchte bloß etwas Geld von der Versicherung dafür zurückhaben.
Die Fahrt vom Büro zur Berkeley Street dauerte keine zehn Minuten. Die Stadt war leer. Wer den Feiertag am Meer verbringen wollte, war schon Donnerstag oder Freitag aufgebrochen. Wer hierblieb, um morgen zum Konzert und Feuerwerk ins Esplanade zu gehen, war noch nicht auf den Beinen. Alle hatten sich den Tag freigenommen. Auf unserer Fahrt sahen wir etwas in Boston sehr Seltenes: leere Parklücken. Ich bat Angie immer wieder, neben einer anzuhalten und ein- und auszuparken, nur um zu sehen, wie man sich dabei fühlt.
In Upper Berkeley, beim Polizeipräsidium, sah es anders aus. Der gesamte Block war mit Seilen abgesperrt. Ein kräftiger Streifenpolizist winkte uns um den Block. Wir konnten Übertragungswagen mit Satellitenschüsseln, auf dem Bürgersteig geparkte weiße Lkw vom Fernsehen und die schwarzen Crown Victorias der höheren Kriminalbeamten erkennen, die in Dreierreihe am Straßenrand geparkt waren.
Wir wichen aus nach St. James und hatten kein Problem, dort einen Parkplatz zu finden. Dann gingen wir zu Fuß zurück zum Hintereingang des Gebäudes. Ein junger schwarzer Bulle stand mit gespreizten Beinen und hinter dem Rücken verschränkten Armen vor der Tür. Er warf einen prüfenden Blick auf uns. »Presse zum Haupteingang.«
»Wir sind nicht von der Presse.« Wir zeigten ihm unsere Marken. »Wir haben eine Verabredung mit Detective Amronklin.«
Der Bulle nickte. »Hier die Treppe hoch. Vierte Etage, rechts ab. Dann sehen Sie ihn schon.«
Das taten wir. Er saß am Ende eines langen Ganges zusammen mit seinem Kollegen Oscar Lee auf einem Tisch. Oscar ist riesengroß und schwarz und genauso gemein wie Devin. Er spricht etwas weniger, trinkt aber ebensoviel. Sie sind schon so lange Kollegen, daß sie sich sogar am gleichen Tag scheiden ließen. Jeder hat schon für den anderen eine Kugel kassiert, und wollte man in die Tiefe ihrer Beziehung stoßen, käme das einem Versuch gleich, Schlackenbeton mit einem Plastiklöffel auszuhöhlen. Sie bemerkten uns gleichzeitig, sahen auf und hielten den gleichen müden Blick auf uns gerichtet, während wir auf sie zugingen. Beide sahen scheiße aus, müde und schlechtgelaunt, so als würden sie jeden treten, der ihnen nicht gab, was sie wollten. Beide hatten Blutspritzer auf dem Hemd und eine Kaffeetasse in der Hand.
Wir traten ein, und ich grüßte: »Hey.«
Sie nickten. Wenn sie sich noch ähnlicher wurden, könnte man sie gleich von der Hüfte an zusammennähen.
Oscar antwortete: »Setzt euch, Leute.«
Mitten
Weitere Kostenlose Bücher