Streng vertraulich
mal war, und kein Autodieb, der was auf sich hält, verschwendet kostbare Zeit, indem er sich mit einer Kralle abmüht. Solange sie es also nicht im Radio versteckt hatte, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, daß es sich noch im Auto befand. Wenn sie überhaupt was darin versteckt hatte. Großes Wenn.
Wir beobachteten das Auto und warteten auf die Dunkelheit. Die Sonne war schon untergegangen, doch strahlte der Himmel noch immer ihre Wärme ab, eine beige und orange getupfte Leinwand. Irgendwo vor oder hinter uns, in einem Baum, auf einem Dach, hinter einem Busch, vereint mit der städtischen Natur, lauerte Bubba mit ebenso starrem und ausdruckslosem Blick wie T. J. Eckleburg im Großen Gatsby.
Wir hatten keine Musik an, weil der Vobeast kein Radio besaß, das machte mir schwer zu schaffen. Nur Gott weiß, wie die Menschen vor der Erfindung des Rock ‘n’ Roll klar im Kopf bleiben konnten. Ich dachte darüber nach, was Angie über meine Motive gesagt hatte, über meinen Vater, daß ich meine Wut an Mulkern und seinen Leuten auslassen würde, meine Wut auf eine Welt, die mit meinem Vater abgerechnet hatte, bevor ich die Möglichkeit dazu hatte. Ob sie recht hatte, würden wir wissen, sobald wir den Beweis in den Händen hielten und ich ihn gegen einen unterzeichneten Scheck inklusive Extrazulage eintauschte. Vielleicht stellte sich ja heraus, daß sie sich geirrt hatte. So oder so gefiel mir der Gedanke daran nicht.
Wenn ich es mir überlegte, passierte in letzter Zeit zuviel, das mir Innehalten und Nachdenken abverlangte. Ich habe mir nie groß den Kopf zerbrochen, ich finde gerne Sachen heraus, solange es nicht mich selbst betrifft. Doch plötzlich gab es in meinem Leben all diese heißblütigen Konfrontationen mit Richie, Mulkern, Angie. Plötzlich wurde ich gezwungen, meine Haltung gegenüber Hautfarbe, Politik und dem Helden neu zu definieren. Die drei Themen, die ich am wenigsten mochte. Noch mehr Innenschau, und ich würde mit einem langen weißen Bart enden, vielleicht ein weißes Gewand tragen, Platos Kriton lesen und am Schierlingsbecher nippen. Vielleicht sollte ich doch besser nach Tibet gehen, mit dem Dalai Lama einen Berg besteigen, oder nach Paris reisen, mich ganz in Schwarz kleiden, mir ein freches Ziegenbärtchen wachsen lassen und über nichts anderes als Jazz reden.
Oder ich tat doch das, was ich immer mache: abwarten und gucken, was passiert. Ein Fatalist bis ins Mark.
Angie fragte: »Was meinst du?«
Der Himmel verwandelte sich in dunkelblaue Tinte, im Umkreis von mehreren hundert Metern ging keine einzige Straßenlaterne. »Zeit für einen kleinen Einbruch.«
Noch war niemand vor den Häusern zu sehen, als wir den Hügel hinuntergingen, doch das würde sich in so einer schwülen Sonntagnacht bald ändern. Dies war keine Gegend, in der sich die Leute nach Cape Cod aufmachten, um den Unabhängigkeitstag dort zu verbringen. Wir mußten reinkommen, das finden, was wir suchten, und wieder abhauen. Menschen, die nicht viel haben, verteidigen das bißchen, was sie haben, oft bis aufs Blut. Ob der Abzug nun von Bobby Royce oder einer kleinen alten Frau betätigt wurde, der angerichtete Schaden kann der gleiche sein.
Als wir uns dem Auto näherten, zog Angie einen Dietrich aus der Jacke, und bevor ich mich versah, hatte sie ihn neben dem Fenster heruntergleiten lassen und das Schloß geknackt. Ich wußte nicht, wie Jennas Wohnung wirklich ausgesehen hatte, denn ich hatte erst einen Blick hineinwerfen können, nachdem sie jemand wie ein Wirbelsturm auf den Kopf gestellt hatte, aber ihr Auto war tadellos. Angie übernahm die hinteren Sitze, griff unter und hinter das Polster, schaute unter den Fußmatten nach, suchte den Boden nach verräterischen Rissen ab.
Ich widmete mich den Vordersitzen mit gleicher Gründlichkeit. Ich zog den Aschenbecher heraus, er war bis zum Rand voll mit Marlborostummeln. Ich schob ihn wieder rein. Dann nahm ich den ganzen Papierkram, offensichtlich Garantieunterlagen, Reparaturnachweise und das AutoHandbuch, aus dem Handschuhfach und steckte ihn in eine Plastiktasche, die ich für alle Fälle mitgebracht hatte. Zu Hause hatte ich mehr Zeit, das alles durchzuarbeiten. Ich griff unter das Armaturenbrett, tastete mit der Hand umher, doch war nichts darunter festgeklebt. Ich untersuchte die Verkleidung an den Türen auf Risse oder Schnitte an den Kanten. Nichts. Mit einem Schraubenzieher bearbeitete ich die Verkleidung auf der Beifahrerseite - vielleicht hatte Jenna ja
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