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Stuermische Gefahr

Stuermische Gefahr

Titel: Stuermische Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alia Cruz
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hatte nichts gesagt, also ging es ihm gut. Lily Blue saß wieder im Aufenthaltsraum, als Scarlett sich einen Kaffee holen wollte.
    „Wie geht es dir?“, fragte Lily.
    Scarlett schämte sich. Hätte sie nicht diese Frage zuerst stellen müssen, nach allem, was sie gestern von Lily erfahren hatte? Und warum fragte Lily überhaupt? Sah man ihr an, dass sie kaum geschlafen hatte? „Gut, eigentlich müsste ich dich das fragen.“
    Lily zuckte mit den Schultern und ihre vollen Lippen wurden kurz zu einem schmalen Strich. „Na ja, ich bin diesen üblichen Wahnsinn ja gewohnt. Du siehst müde aus.“
    „Ich konnte nicht schlafen.“
    Die schön geschwungenen Augenbrauen von Lily schnellten nach oben. „Gibt es dafür einen Grund?“
    „Nein, eigentlich nicht. H aben wir Vollmond ? “
    „Du schläfst tagsüber, da sollte dich das nicht aus der Bahn werfen, aber ich kann ja mal meine Schwester Zara fragen. Ihre Chefin im Voodooladen sollte so was wissen.“
    „Glaubst du an Voodoo?“
    Wieder zuckte Lily mit den Schultern. „Vielleicht sollte ich das. Meine Vorfahren kommen aus der Karibik , und angeblich war meine Urgroßmutter eine Voodooqueen.“
    „Das hört sich spannend an.“ Scarlett war froh, ein Thema gefunden zu haben, das keinerlei private Probleme behandelte. So übermüdet und andererseits aufgeregt wie sie sich im Moment fühlte, würde sie nachher noch mit allem, was sie be wegte , herausplatzen und Lily erzählen, was sie für John Doe empfand. Wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Routine und Professionalität waren das Wichtigste auf ihrer Agenda. Zumindest hatte ihr Verstand das beschlossen.
    „Seit Zara dort arbeitet , stellt sie immer öfter Fragen nach unserer Urgroßmutter. Ich weiß nicht, ob das gut ist.“ Sie seufzte. „Manchmal regt si ch meine Mutter da rüber auf. Die reagiert allergisch auf dieses Thema.“
    „Wieso? Ich dachte , es gehört zum Alltag.“
    „Eins der großen Geheimnisse meiner Mutter. Manchmal glaube ich, sie hat triftige Gründe , so viel zu trinken, trotz ihrer Erkrankung.“
    Wenn Scarlett über die Familienverhältnisse von Lily und die Umstände , in denen sie lebten , nachdachte, waren das ihrer Meinung nach schon genug triftige Gründe.
    „Auf jeden Fall“, fuhr Lily fort, „muss ich mir im Moment von Zara anhören, dass ihre Chefin große Prophezeiungen macht.“
    „Ach? Was denn für Prophezeiungen?“
    „Von einem Sturm, der alles zerstören wird.“ Lily winkte ab. „Ich höre da nur noch mit halbem Ohr hin.“
    „Wahrscheinlich treibt die Hitze alle in den Wahnsinn.“
    Lily stand auf. „Das wird es sein.“ Sie machte sich auf den Weg zu ihrer Runde und Scarlett trank langsam ihren Kaffee aus.
    Kein Patient verlangte nach ihr. Sie vertrieb sich die Zeit damit, den Aufenthaltsraum aufzuräumen. Laut Dienstplan hätte sie nach John Doe sehen müssen. Warum hatte sie ihn in ihre Runde nicht mit einbezogen? Es war lächerlich , so zu tun, als müsse das Schwesternzimmer dringend in Ordnung gebracht werden. Nachdem sie zum dritten Mal die Obstschale auf dem Tisch ein paar Zentimeter hin - und hergerückt hatte, raffte sie sich auf und schritt langsam den Flur entlang.
    Sie hoffte fast, dass einer der Patienten auf den Knopf drücken würde, bevor sie an Johns Zimmertür angelangt war, aber nichts passierte. Sie sah sich um. Niemand zu sehen. Eine Weile blieb sie vor der Tür stehen. Sie würde schnell den Kopf ins Zimmer stecken. John würde schlafen und sie konnte wieder gehen. Warum machte sie also so eine große Sache daraus? Sie strich sich ein paar Strähnen ihres Ponys aus der Stirn, überprüfte ihren Pferdeschwanz und hoffte, dass ihr dezentes Make-up ihre Müdigkeit verbergen konnte. Obwohl, bei Lily hatte das nicht funktioniert. Im Grunde war es vollkommen egal. Ihr Herz pochte. Langsam drückte sie die Klinke hinunter und öffnete die Tür einen Spalt breit. Sie steckte den Kopf hinein. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht schnell wieder die Tür zu schließen. Ein kleines Licht an seinem Nachttisch brannte , und er saß aufrecht in seinem Bett, die Rückenlehne war hochgefahren.
    Er sah nach oben und schaute ihr in die Augen. Ihre Hand verkrampfte sich an der Klinke, ihr Herz sank in die Hose, andererseits schien es bis zum Hals zu pochen. Sie starrte ihn an. Blau. Dunkelblau. Mitternachtsblau. Das war trotz des kleinen Lichtes deutlich zu erkennen. Das Blau seiner Augen strahlte förmlich. Sie konnte den Blick nicht

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