Stürmisches Wiedersehen auf Maynard Manor (German Edition)
Abstand wieder einmal Wunder wirkten. Was auch immer hier in Willowford passieren wird, ich werde es mir nicht ansehen können, dachte sie traurig.
Wieder musste Chloé an das Gespräch mit Sir Gregory denken. Sie hatte behauptet, immer noch derselbe Mensch zu sein wie früher. Und das stimmt auch, dachte sie schmerzlich. Denn als sie Willowford zum Studieren verlassen hatte, hatte sie ein gebrochenes Herz – wegen Darius. Erst nach einem Jahr hatte sie sich so weit erholt, dass sie sich auf die Vorlesungen konzentrieren konnte.
Und jetzt bin ich wieder hier und liebe ihn immer noch, dachte sie verzweifelt. Und er wird mir erneut das Herz brechen.
Als Flare sie zu einem Gatter zog, ging Chloé mit ihr hindurch und ließ das Tier von der Leine, das über die Wiese zu rennen begann. Sie folgte Flare langsam einen kleinen Hang hinab zu einem schmalen Bach, wo sie sich in den Schatten einer Rotbuche setzte.
Nachdem Flare im Wasser herumgetollt war, schüttelte sie sich und wollte dann mit dem quietschenden Spielzeug aus Gummi spielen, das ihre schweigsame Begleiterin in der Hosentasche hatte.
Sie ist viel klüger als ich, dachte Chloé. Sie weiß, dass das Leben eben weitergeht. Ganz egal, wie verzweifelt ich in diesem Moment bin: Eines Tages werde ich wieder wie jetzt unter einem Baum vor einem sonnenbeschienenen Bach sitzen – leicht und unbeschwert wie einst. Und vielleicht werde ich dann sogar bereit für Liebe und Vertrauen sein, die mein ganzes Leben dauern werden.
Ihr trägerloses Kleid aus jadegrünem Taft hing außen am Kleiderschrank und war das Letzte gewesen, das sie vor dem Einschlafen am Vorabend gesehen hatte. Und heute, am Morgen des Geburtstagsballs, war es das Erste, worauf ihr Blick fiel.
Chloé setzte sich auf, schlang die Arme um die Knie und betrachtete die prächtige Robe, die sehr teuer gewesen war und die sie wohl nur ein einziges Mal tragen würde. Ein Kleid wie eine temperamentvolle, entschlossene Aussage. Und in vierundzwanzig Stunden würde die neue Chloé Benson sich schon auf den Start in ihr neues Leben vorbereiten, nachdem sie allen Halbwahrheiten und allem Selbstbetrug ein Ende gesetzt hatte.
Vorher musste sie noch mit ihrer Tante und ihrem Onkel reden und ihnen ihre erneute Abreise erklären. Zuerst aber wollte sie mit Ian sprechen, was nicht einfach werden würde. Am Vorabend war Chloé mit ihm etwas trinken gegangen. Zu ihrer Überraschung war Ian entspannt gewesen, hatte in gemeinsamen Erinnerungen geschwelgt und sie zum Abschied sehr liebevoll in den Arm genommen. Sie hatten ganz vergessen zu vereinbaren, um wie viel Uhr er sie zum Ball abholen sollte.
Unsere letzte Verabredung, dachte Chloé. Sie hatte kein Recht darauf, mit ihm als seine Partnerin irgendwo aufzutreten. Doch sie sehnte sich danach, unbeschwert zu tanzen und zu lachen, als läge ein Leben voller Glück und Fröhlichkeit vor ihr.
Natürlich könnte sie auch – unter dem Vorwand, krank zu sein – zu Haus bleiben und sich ausweinen. Doch das kam nicht infrage: Chloé musste Darius und Penny mit eigenen Augen sehen. Nur so würde sie wirklich begreifen, dass sie sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Nur so würde sie einen Schlussstrich ziehen und ein neues Leben beginnen können.
Als sich ihr die Kehle zusammenzog, schloss Chloé die Augen und verdrängte bewusst jeden Gedanken an Darius. Sie würde sich mit der Situation auseinandersetzen, wenn die Zeit gekommen war. Bis dahin wollte sie sich lieber von anderen Dingen, Menschen und Orten verabschieden, die sie vermissen würde, wenn auch weniger schmerzlich. Natürlich auch von Flare.
Lizbeth Cranes Handgelenk ging es wieder viel besser. Außerdem war ihr Mann aus Brüssel zurückgekehrt, sodass Chloé nicht mehr einzuspringen brauchte. Mrs Crane hatte ihr überschwänglich gedankt.
„Wir sehen uns ja sicher beim Ball“, hatte Chloé gesagt.
„Aber sicher.“ Mrs Crane hatte kurz gezögert und dann hinzugefügt: „Man hört ja gerade jede Menge merkwürdige Gerüchte um den Ball und einige davon klingen sehr unheilvoll. Aber vermutlich ist das alles nur wieder Tratsch, der jeder Grundlage entbehrt.“
Chloé hatte sich ein Lächeln abgerungen – und sich insgeheim gefragt, wie weit der Tratsch über Darius und sie sich in den letzten Tagen wohl verbreitet und was ihn ausgelöst hatte.
Zumindest scheint Ian davon bisher nichts mitbekommen zu haben, dachte Chloé, als sie nun aufstand, um zu duschen. Und hoffentlich würde er das auch
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