Stunde der Klesh
andere auch haben sie einen Weg gefunden, diese Beschränkungen zu umgehen. Nach allem, was ich weiß, haben sie sehr komplizierte Verhaltensmuster entwickelt, und die notwendigen Handlungen selbst werden an geheimen, vollständig abgeschirmten Orten ausgeführt.
Ich hoffe auf jeden Fall, daß es euch erspart bleibt, sie im Zustand der Raserei zu erleben. Es ist so schon schwierig genug, mit ihnen zurechtzukommen. Als ich zum letztenmal hier war, hatte ich den Vorsitz bei einer Unterredung, außerdem sollte ich meinen Wendel zur Verfügung halten. Man hat mir mehrfach nach dem Leben getrachtet. Den Lagostomern ist nichts heilig. Nicht einmal einen Mittler halten sie in Ehren. Sie lassen ihn gewähren, wenn er Glück hat. Das ärgste aber ist, daß sie keinerlei Orakel befragen, ein unglaublicher Zustand.“ Morgin schüttelte den Kopf, und sein Gesichtsausdruck verriet, was er von diesem Abgrund an Unzivilisiertheit hielt.
Meure folgte einer plötzlichen Eingebung und fragte: „Warum befragen sie kein Orakel?“
„Sie sagen, daß sie einst einem Orakel folgten, das sie nach Yastian in die Falle führte.“
Meure sagte: „Wenn das stimmt, dann scheint es fast so, als würde jemand sie mit Absicht dort festhalten. Wer lebte vor den Lagostomern in diesem Land?“
Morgin antwortete ihm: „Yastian trägt seinen Namen nach dem Fluß Yast. Viele Stämme haben für eine Weile hier gelebt. Schon immer haben sich in Yastian die Verlorenen und die Ausgestoßenen aller vier Kontinente versammelt. Hier haben sie sich noch einige Zeit halten können, bevor sie endgültig in Vergessenheit gesunken sind … Bei den großen Docks gibt es immer noch ein Ausländerviertel, Klesh aus vielen Stämmen haben dort ein Exil gefunden. Aber die Zahl dieser Ausländer ist nicht mehr so hoch, wie sie es einmal war. Trotzdem findet ihr dort alles, was diese Welt zu bieten hat: Kurben aus dem Hinterland von Incana, Aurisleute, Meorer aus Ombur, vielleicht sogar einige Seagover, Maosts aus Boigne, Garlinder aus Intance und aus Hinternasp, das östlich des Deltas liegt. Klone aus Chengurune sind auch darunter, meist Seeleute, und noch viele andere Rassen. Ich glaube, daß man gelegentlich sogar einen Haydar sieht.“
Tenguft fragte: „Glaubst du, daß sie mich angreifen werden? Ihrer Vielzahl ist auch mein Kampfesmut nicht gewachsen.“
„Nein, das ist sehr unwahrscheinlich. Auf keinen Fall, solange du dich in der Stadt selbst aufhältst. Ein Übergriff auf dich würde schnell in eine allgemeine Raserei übergehen. Eine Unzahl von Lagostomern würde bei diesem Anlaß ihren Rachegefühlen freien Lauf lassen. So käme es zu einem gewaltigen Blutbad, bei dem viele Lagostomer den Tod fänden. Andererseits wäre die Bedrohung durch die Haydars nur um ein Mitglied dieser Rasse verringert worden. Einen so hohen Preis zahlen sie nicht. Da sie immer damit rechnen müssen, daß du die Eratzenaster vom Himmel rufst, werden sie wahrscheinlich auch uns, deine Gefährten, verschonen. Darauf können wir uns allerdings nicht verlassen.“
Meure stand jetzt schon lange Zeit an der Reling und betrachtete den lärmerfüllten Stadtstaat Yastian. Schließlich sagte er nachdenklich: „Cretus hatte den starken Wunsch, an diesen Ort zu gelangen oder vielmehr hierher zurückzukehren, denn er ist im Delta aufgewachsen. Aber es hat sich vieles geändert, und Cretus ist von dieser Gegenwart beziehungsweise Zukunft zurückgewichen. Ich weiß auch nicht, was wir mit diesen Leuten anfangen sollen, außer, daß wir uns ihnen gegenüber vorsichtig verhalten und uns nicht in Meinungsverschiedenheiten einlassen. Ich mag sie ebensowenig, wie Tenguft sie mag. Aber ich will auch um keinen Preis nach Incana zurückkehren, und auch Ombur scheint mir kein einladendes Land zu sein.“
Flerdistar sagte leise: „Wir brauchen Kepture nicht zu verlassen, denn wir wissen, daß das, was wir suchen, hier ist.“
Meure sah sie lange von der Seite her an. Dann sagte er fast unhörbar: „Was du suchst, ist immer da, wo ich bin, wohin ich auch gehen mag: nach Chengurune, Cantou oder Glordune, selbst wenn ich zu denen gehe, die ihre Heimat auf der weiten See haben.“ Fast ohne zu denken, hatte er seinen letzten Satz gesprochen, doch als die Worte heraus waren, waren sie ihm selber fremd. Dann sagte er zu Morgin: „Du weißt besser über diesen Ort Bescheid als jeder von uns. Wo sollen wir anlegen?“
Morgin dachte eine Weile nach, bevor er antwortete: „Es würde sicher nicht
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