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Stunde der Klesh

Stunde der Klesh

Titel: Stunde der Klesh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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Chaos … Ich könnte so fortfahren – worauf ich hinauswill ist, daß alle diese Stämme mindestens eine Tugend haben … Nur die Lagostomer nicht. Alles, was sie anfassen, verderben sie für immer. Sie ruinieren das Land, das sie bewohnen, für ewige Zeit. Darum sind sich auch alle darin einig, daß sie das Delta nicht verlassen dürfen …“
    Morgin fuhr noch eine Weile fort, die negativen Eigenschaften der Lagostomer aufzuzählen. Unterdessen betrachtete Meure das Panorama des Stadtstaates, das langsam an ihnen vorüberglitt. Hin und wieder kamen sie dem Ufer so nahe, daß man die Einwohner genau beobachten konnte.
    Seine Erwartung sank, während er dies tat. Wie Cretus und Morgin konnte auch er nichts in diesem Volk entdecken, das irgendeine Hoffnung rechtfertigte. Er wollte nicht hierher verschlagen werden, und dies war auch nicht das Volk, aus dem man die Gesellschaft von morgen schmieden konnte … Dies war ein seltsamer Gedanke. Er hätte von Cretus kommen können. Meure horchte in sich hinein, aber von Cretus war nichts zu spüren. Er hatte sich völlig zurückgezogen.
    Wie war es mit den anderen Stämmen? Natürlich, die Haydars stellten etwas dar, und Morgin hatte sie als tapferes Volk bezeichnet. Doch andererseits … Nein. Nicht einmal die Haydars waren geeignet. Er sah es plötzlich. Die Erkenntnis kam unerwartet und ohne daß er nach ihr gesucht hatte. Er ließ in Gedanken alle Stämme, die er auf Monsalvat kennengelernt hatte, an sich vorüberziehen: die Lagostomer, die Haydars, die Kurben, die Leute vom Fluß und wieder die Lagostomer, er dachte an die Erfahrungen, die er mit ihnen gemacht hatte. Und dann fielen ihm Flerdistars Worte wieder ein. Cretus war ein großer Veränderer der Geschichte, denn sein Einfluß und sein Geist hatten einen ganzen Planeten geprägt. Ja! Unter Cretus hatten sie es einst fast erreicht. Meure sah ganz genau vor sich, was geschehen wäre, wenn Cretus weitergelebt und sein Werk fortgesetzt hätte. Er hätte die vielen unterschiedlichen Faktoren Monsalvats zu einer menschlichen Gesellschaft verschmolzen, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte.
    Aber er sah auch etwas anderes: Der Fortschritt der Entwicklung dieser neuen Gesellschaft war auf halbem Wege steckengeblieben. Der Virus der Veränderung hatte einst alle Stämme ergriffen, doch als die Entwicklung stockte, wurden die Stämme immun gegen diesen Virus. Dies war die niederschmetternde Erkenntnis, darum war die Veränderbarkeit so weit abgesunken, daß sie sich jederzeit in völlige Starre verwandeln konnte.
    Darum also hatte sich Cretus zurückgezogen. Sie waren gegen ihn immun. Das hatte er nicht voraussehen können. Er nicht und auch nicht diese andere Wesenheit, die ihm geholfen hatte, ins Leben zurückzukehren. Was hatte Flerdistar noch gesagt? Eine andere Identität … Doppeltrumpf … alles strebt seiner Vollendung entgegen?
    Seine Überlegungen wurden unklar, verschwammen. Meure drängte sich das Gefühl auf, daß er etwas Wichtiges übersehen hatte. Es war ganz nahe. Aber der Zugang war versperrt.
    Er sah hinüber zu den hölzernen Uferbefestigungen. Bedrückende Armut zog vorbei, wie in einem endlosen Film. Es war eine ehrlose Armut, ohne Hoffnung auf Veränderung. Das bräunliche Wasser schwappte träge gegen die verrottenden Balken der Landungsstege. Die Yastianer am Ufer gingen mit gebeugten Rücken ihren mühseligen Tätigkeiten nach, viele saßen einfach da und starrten bewegungslos ins Wasser. Wenn zwei sich begegneten, wichen sie einander mit übertriebener Sorgfalt aus. Sie fürchteten so sehr, den anderen zu reizen, daß sie darüber ihre Lebensbedingungen vergaßen. Meure sah das alles sehr deutlich. Sie hatten sich selbst zu Gefangenen des Deltas gemacht. Ihr Lebenssystem war ihr Gefängnis geworden. Die Beschränkungen, die sie sich selbst auferlegt hatten, machten sie den anderen Stämmen nur noch verhaßter.
    Meure konnte seinen Blick kaum von dem elenden Panorama lösen, den baufälligen Hütten, dem Abfall, der in stinkenden Haufen überall herumlag, und den zerlumpten Kindern, die zwischen diesen Haufen spielten. Sie bewegten sich bereits genauso vorsichtig wie die Erwachsenen. Es fiel ihm auf, wie ähnlich sie sich waren, und er überlegte, ob es daran liegen konnte, daß sie an besonderen Plätzen gezeugt wurden. Nein, er kannte die Ursache: Die Lagostomer hatten die breiteste genetische Basis unter allen Bewohnern dieses Planeten.
    „Cretus!“ Seine Gedanken formten diesen Ruf.

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